Yachtkonstrukteur Peter Norlin

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Eine Erinnerung an „Mister Scampi“, den Schöpfer erfolgreicher Regattaboote, Meteryachten, Schärenkreuzer wie ansehnlicher Touren- und Familienboote, von denen neuerdings eines sogar in Deutschland gebaut wird.

1941 geboren, hatte Norlin das Glück als junger Mann in den besten Jahren der Seglernation Schweden zu leben. Die Voraussetzungen zum Segeln waren damals selbstverständlich: Es gab ein schönes Revier, Geld und vor allem Zeit.

In den Siebzigerjahren war das Interesse an Booten in Skandinavien derart groß, dass clevere Schweden damals zwei Exemplare eines bestimmten Typs kauften. Eines zum Segeln und das Zweite als Geldanlage. Das stellten Sie originalverpackt in die Halle. Es ließ sich nach einem oder zwei Jahren mit einem gepflegten Aufschlag weiter reichen.

Das erscheint heute, wo Werften und Marken wie IW, Fisksätra, Sweden Yachts, Storebro oder beispielsweise Vindö verschwunden sind oder wie Maxi eine Weile unter dem Dach eines Mehrmarkenproduzenten weiter existierten, unglaublich. Es ist aber gerade mal fünf Jahrzehnte her. Damals gab es überall an der schwedischen Küste Bootsbaubetriebe, in denen variantenreich Fahrtenboote laminiert und getischlert wurden.

Norlins Hattrick mit Scampi beim Halbtonnerpokal

Die Erfolgsgeschichte des Norlin-Halbtonners vom Typ Scampi, jenes Bootes mit dem eigenwilligen Falz mittschiffs in der Bordwand, zeigt es. Nachdem Norlin seit 1969 dreimal hintereinander mit seinen Scampi I bis III den zunächst gemäß RORC-Vermessung, dann nach der sogenannten International Offshore Rule (IOR) ausgetragenen Halbtonnerpokal gewonnen hatte, ging das handliche 30 Fuß Boot weg wie warme Semmeln: Dem Debüt der Norlin-Konstruktion 1969 folgte die Scampi Mk II. Sie wurde 1970 und 71 vermutlich 50- bis 75-mal gebaut. Die Mark III Version soll an vier Produktionsstätten, darunter in Japan, von 1971 bis 73 etwa zweihundertmal entstanden sein. Die Scampi Mk IV entstand bis Anfang der Achtzigerjahre in sage und schreibe 750 Exemplaren, als der schwedische Bootsbau seine erste Vollbremsung mit einer brutalen Marktbereinigung hinlegte.

Norlins Hattrick beim Halbtonnerpokal war eine beeindruckende Visitenkarte für den Schweden auf internationalen Regattabahnen. Bald legte der 33-Jährige mit seinem Vierteltonnerpokal namens „Accent“, dann mit „Amoress“ und später mit „Agnes“, dem Klassensieger bei den amerikanischen SORC-Regatten 1976 nach. Norlins ¾ Tonner „Stratus“ gewann die WM 1979.

So ist Peter Norlins Scampi ist von skandinavischen Gewässern nicht wegzudenken. Dank ihrer riesigen, günstig nach IOR vermessenen Genua, macht die Scampi bereits aus wenig Wind etwas. Dank der stattlichen Breite ist das Boot bei auffrischendem Wind eine steife Plattform. Das erklärt den weltweiten Fanclub des gut tausendmal gebauten Bootes. Zwei Seglergenerationen wurden mit Norlin-Entwürfen mit dem Metier vertraut. So sicher wie man auf nordischen Straßen einen Volvo sieht, so selbstverständlich begegnet man in skandinavischen Gewässern einer Norlin-Konstruktion.

Ebenso beliebt waren und sind seine sieben verschiedenen Albin Typen. Mit Norlins Albin Express (etwa 1.400-mal gebaut) kommen in Schweden und Norwegen nach wie vor respektable Regattafelder zusammen.

Norlin als Schöpfer schöner Fahrtenboote

Ansonsten hat der hagere Schwede mit Oberlippenbart auch richtig schöne Familien- und Sommerurlaubsboote gezeichnet. Für seine Avance 33 und Avance 36, die Norlin 37 und Norlin 41, die Omega 42 oder die Super Swede 53, dessen Prototyp ich ganz gut kenne und in den Neunzigerjahren nach Deutschland verkaufte, schwärmen Ästheten aus gutem Grund. Es sind wohlproportionierte, seegängige Boote mit ansehnlicher Seitenansicht und einem dezenten Kajütaufbau und hübscher Heckpartie. Am schönsten zu sehen vielleicht bei seiner Ende der Achtzigerjahre entworfenen Super Swede 53, die Norlin als etwas breiteren Swede 55-Nachfolger mit modern vorwärts geneigtem, einem sogenannt negativen Spiegel und einem traditionell positiven, überhängenden Yachtheck entwarf.

Peter Norlins Entwurf des Swede 55 Nachfolger vom Typ Super Swede 53 von 1983

Ein formstabiles Traumschiff, mit mäßiger Breite und entsprechend generös besegelt. So schön hat ansonsten vielleicht nur der argentinische Ästhet German Frers gezeichnet. Leider ist es bei einem Exemplar geblieben. So ist das mit wunderschönen Booten.

Norlin sah eine stattliche Besegelung für den 53-Füßer vor © Swedesail

Norlins Avanche oder Omega sind nach wie vor eine gute Wahl für sportliche Seglerfamilien, die ein schönes und schnelles Boot möchten, auf dem man auch noch mit passablem Komfort (einer Nasszelle statt drei) die Sommerferien verbringen kann. Die anhaltende Begeisterung für diese 160-mal gebaute Omega 42 beweist die aktive Klassenvereinigung. Nachdem das sehens- und segelnswerte Boot mit den Baunummer 301 – 4 viermal von der Lidköpings Båtsnickeri in Schweden in ausgezeichneter Qualität gebaut wurde, ich hatte Gelegenheit, mir den Prototypen in Dänemark einmal anzusehen, gibt es seit 2017 in Waren an der Müritz einen neuen Versuch für den Relaunch. Der Ansatz, solch einen Exoten in Deutschland zu bauen, bietet dem Auftraggeber mehr Sicherheit als der Bootsbau im Ausland und kurze Wege, um während der Fertigstellung mal nach dem Rechten zu sehen.

Norlins Fahrtenboote sind eine Augenweide zwischen dem gesdtalteruschen Einerlei heute üblicher Volumenmodelle.

Bau des Super Swede 53 Prototypen mit positivem Yachtheck in Tunesien © Swedesail

Von 1973 bis 2008 war Norlin, teilweise mit Jens Östman, Hauskonstrukteur für Sweden Yachts. Jener Werft in Stenungsund, die jahrzehntelang in den westschwedischen Schären gediegene Fahrtenboote für vermögende Eigner von 34 bis 70 Fuß aus der Halle schob, bis sie Anfang 2009 schloss. Die Erzeugnisse der Werft waren eine Weile teurer als die der finnischen Nobelmarke Nautor’s Swan.

Mit dem gestreckten Aufbau und traditionellen Yachtheck ist Norlins leider nur dreimal gebauter 70-Füßer ein Hingucker. Auch das letzte Modell, die „Sweden Yachts 54“ kann man sich lange ansehen.

Meteryachten: kalter Kaffee?

Ich erinnere mich an eine kurze Begegnung mit Norlin in der Nähe von Saltsjöbaden, als er mir zögernd einige Pläne seiner Sechser und Achter zeigte. Es waren dünne Bleistiftstriche auf Transparentpapier. Norlin, der von 1977 bis 1989 ein gutes Dutzend Meterboote entworfen hatte, mochte nicht mehr über diesen Bootstyp reden, der ihm keine Schwedenkronen mehr einbrachte. Das erschien ihm wie „kalter Kaffee.“ Damals, Mitte der Neunziger Jahre meinte Norlin resigniert, das Thema Meterklassen sei durch. Die Klasse wäre zu kostspielig und Crew intensiv, um die damalige Krise zu überstehen.

Norlin war auf dem Sprung nach Estland, wo eines seiner nächsten Fahrtenboote laminiert wurde: natürlich Welten günstiger als in Schweden denkbar. Hinsichtlich Büroorganisation und Ordnung erinnerte Norlin an seinen ähnlich talentierten kalifornischen Kollegen Doug Peterson. Norlins Büro bestand aus einem Tisch und einem Regal mit einem Haufen Zeichnungsrollen. Es war eher ein soeben bezogenes Ferienhaus mit großen Fenstern. Ich erinnere mich nicht, einen Rechner gesehen zu haben. Seinen Sechser Jungfrun von 1986 hat Norlin lange gesegelt. Ich recherchierte damals mit gewisser Begeisterung über Meterklassen. Die kurze Begegnung mit dem zwar freundlichen, aber reservierten Mann war für mich leider wenig ergiebig.

Schöne Meterboote

Die Süddeutsche Yachtkonstrukteurin Juliane Hempel, die Norlin während ihres Studiums besuchte, bestätigt, dass er lange von Hand gezeichnet und erst recht spät begann, zeitgemäße Software zu nutzen. Das ist erstaunlich, weil Bootskonstrukteure meist eine bestimmte Form variieren. „Er hat lange von Hand gestrakt“ erinnert Hempel, die selbst mit dem Achter Spazzo und ihrem Sechser Kontrapunkt Meterboote geeichnet hat. „Die Ästhetik war Norlin besonders wichtig“ bestätigt Hempel. „Er hat schöne Boote gezeichnet. Man sieht es an Norlins Vorsteven, den feinen Linien und eleganten Achterschiffspartien.“ Übereinstimmend mit anderen Seglern erinnert Hempel Peter Norlin als hilfsbereiten Mann. „Wir kamen später als Schiffbaustudenten und zogen Pacific Highway mit dem Trecker aus der Fähre. Norlin hat unsere Begeisterung und auch die Situation verstanden. Er hat meinen Segelfreunden und mir wunderbar geholfen.“

Obwohl studierter Ingenieur, war Norlin als Bootskonstrukteur Autodidakt. Er gelangte über die Segelmacherei zu seinem Metier. Im Unterschied zu Kollegen wie Bruce King, der mit dem Schwertboot „Terrorist“ für Wirbel sorgte oder beispielsweise zu German Frers, gab es bei Norlin keine Fisimatenten. Frers hatte mit seiner Acadia ein Regattaboot entworfen, das ohne Crew achtern mit entsprechend kurzer Wasserlinie für die Vermessung hoch schwamm und mit Besatzung dann tiefer. „Norlin boats always did what it said on the Carton“ fasst ein amerikanischer Fan zusammen.

Auch war Norlin kommerziell nicht so erfolgreich wie sein westschwedischer Kollege Pelle Petterson mit seinen wenigen, ausgezeichnet gesegelten Sechsern, der es dann mit Sverige sogar zu einem eigenen Zwölfer-Syndikat und ersten schwedischen America’s Cupper brachte. Norlin hat keine Volumenmodelle wie Petterson vom Typ Maxi mit umlaufender Gummischeuerleiste über dem Flansch der damals schon günstig mit dem Rumpf verbundenen Decksschale und schwarzem Fensterband gezeichnet. Nein, solche Sachen brachte der die Tradition nordischer Bootskonstruktion mit sympathischem Widerstand gegen das Wohlfeile auf seine Weise fortschreibende Ästhet Norlin nicht.

Norlins Beitrag zu den in seiner Heimat beliebten Schärenkreuzern ist bei den 22ern der Tiger Typ mit Norlin-typisch geradem und deutlich geneigtem Vorsteven. Norlins kleinstes Boot ist die 2,4 mR Klasse, ein Einhand zu segelnder, auf den Maßstab 1:5 verkleinerter Bonsai-Zwölfer. Nachdem Norlin die Klasse gemeinsam mit anderen Kollegen ausgeknobelt hatte, zeichnete er, angeregt von seinen Sechsern, 1982/3 seine Interpretation des Einhandbootes und entwickelte es zu einem Schiff, das von Behinderten gesegelt werden kann. Heiko Kröger ist damit recht erfolgreich. Ich hatte mal Gelegenheit eine 2,4 mR Klasse bei viele Wind auf der Alster zu segeln. Ganz großer, elementarer und wahrlich wassernaher Spaß.

Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der olympischen Regatten von 1912 in Stockholm fragte Peter Norlin in Nynäshamn, ob er an Bord des 6ers „Oslo II“ kommen und sich umschauen dürfe. Norlin sah sich die alte Johan Anker Konstruktion anerkennend an und gab dann Tipps. Tja, Mister Scampi, blieb anscheinend doch beim „kalten Kaffee“, den coolsten und interessantesten Kreuzmaschinen, die man sich denken kann. Es ist kein Zufall, dass es in Schweden eine substanzielle Flotte von etwa 30 Sechsern gibt und Norlins schöne Boote weiter gesegelt werden. 2012 ist der stille, bescheidene und ernste Mann im Alter von 71 Jahren gestorben.

Peter Norlins Konstruktionen: 2.4mR, Accent, Amoress, Albin 78 Cirrus, Albin Cumulus, Albin, Alpha, Albin Delta, Albin Express, Albin Nova, Albin Stratus, Avance 24, Avance 245, Avance 33, Avance 36, Fabola Scanper, Gambler 37, Gambler 38, IW 26 / Lill-Scampi, Monark 700, Najad 37, Najad 371, Norlin 34, Norlin 37, Norlin 41, N-Yachts 41, N-Yachts 411, Omega 42, Scampi, Scampi 34, Scanper 22, Super Swede 53, Swede 37, Sweden Yachts 340, Sweden Yachts 36, Sweden Yachts 370, Sweden Yachts 38, Sweden Yachts 390, Sweden Yachts 40, Sweden Yachts 41, Sweden Yachts 42, Sweden Yachts 45, Sweden Yachts 50, Sweden Yachts 52 Classic, Sweden Yachts 54, Sweden Yachts 70, Tiger 22 (A22), Triss 570, Triss Norlin