Pauger 70

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Auf dem Plattensee segelt eine einmalige Flotte mittlerweile neun exotischer Leichtwindrenner, die vom klassischen 40 m2 Schärenkreuzer inspiriert ist. Einblicke in diese allenfalls in Ungarn bekannte Klasse.

Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus endete in Ungarn 1989 auch auf dem Wasser die Mangelwirtschaft. Nach entbehrungsreichen Jahrzehnten, in denen Einheimische ihre betagten Holzschärenkreuzer liebevoll erhielten und segelten, irritierte zunächst ein agiles, leichtes und schnelles 11:Metre One Design auf dem See. Das können wir besser, dachte Dénes Paulovits im Land mit beachtlicher Schärenkreuzertradition.

Wie es zur Pauger 70 kam

So bereitete er Anfang der Neunzigerjahre den Neubau eines 40 m2 Schärenkreuzers aus Kunststoff vor. Als er beim Abnehmen der Form bemerkte, dass der Rumpf des Holzbootes asymmetrisch war, hörte er auf und entwarf angelehnt an die 40er Glória und Tabu ein komplett neues Boot: vom markanten Vorsteven über den Kajütaufbau bis zum rasant geneigten Spiegel flachbordig und modern. Es erhielt eine moderne Kielflosse mit frei stehendem Ruderblatt und wurde mit einem stattlichen, etwas nach hinten gerückten Zweisalingsmast für das Leichtwindrevier aufgetakelt. Die 70 ergab sich aus der zunächst vorgesehen nominellen Segelfläche, die beim klassischen Schärenkreuzer aus dem Großsegel ∆ ≈ + 85 % des Vorsegel ∆ zusammenkommt.

Die Pauger 70 ist gut betucht und mit Klüverbaum für den Gennaker unterwegs – Foto Privat

1995-98 baute die von Paulovics neu gegründete Werft sieben Exemplare. Ein hinreißend modernes, dennoch schlankes Schiff – so, wie es in Schweden in den Siebzigerjahren variantenreich gemacht wurde, nur konsequenter aufs Segeln zugeschnitten und ohne übliche Zugeständnisse an das Bordleben oder Messegesichtspunkte.

Beeindruckende Segeltragzahl

Die Segelgeometrie der Pauger 70 erinnert an die Siebziger- und Achtzigerjahre, als klassische 40 m2 und 75 m2 Schärenkreuzer für Langstrecken Regatten auf dem Bodensee, dem Chiemsee und Gardasee hergerichtet wurden und bis zum Erscheinen der modernen Liberaklassen alles abräumten. Mit Groß und Genua geht es mit der beeindruckenden Segeltragzahl von 5,7 zur Sache, mit Topgenua ist es 6,3.

Die in allen Schärenkreuzerrevieren der Welt verständliche Abneigung der Segler echter, sprich regelkonformer Schärenkreuzer gegenüber dem modernen, deutlich mehr besegelten Neubau wurde ohne viel Federlesens mit Gründung einer eigenen Klasse beantwortet.

Männer- und Seespielzeug

Die Pauger 70 war für die Plattensee-Langstreckenregatta des blauen Bandes gedacht und bis zum Erscheinen der Katamarane auch erfolgreich. Oft starteten sechs bis sieben Pauger 70 beim Blauen Band. Einmal war sogar die gesamte, mittlerweile aus neun Booten bestehende Flotte vertreten.

Länge über Alles15 m
Länge Wasserlinie12,50 m
Breite2,10 m
Verhältnis von Länge zu Breite7,1
Bauweise Rumpf und DeckBalsa-Sandwich Laminat
Masthöhe über Deck16,85 – 17,90 m
Groß50 m2
Genua50 m2
Topgenua70 m2
Gennaker220 m2
Verdrängung5,2 t
Ballast/Ballastanteil3,5 t/67 %
Tiefgang1,70 oder 1,90 m

Mit üblicher Genua und 100 m2, mit Topgenua mit 120 m2 und Raumschots mit 270 m2 ist die sechs- bis achtköpfige Crew bereits bei leichtem Wind gut beschäftigt. Bei frischem Wind und entsprechender Krängung wird Pauger 70 Segeln eine Herausforderung, bei mehr zu einem Härtetest für Mensch und Material.

Pauger 70 im Vergleich zum 40 m2 Schärenkreuzer

Zwar erreicht die Pauger 70 nicht ganz die Höhe eines klassischen Vierzigers, ist dafür schneller. Dank der Länge und flach aus dem Wasser gehobenen Überhänge, liegt sie ruhiger im Wasser als ein herkömmlicher Vierziger Schärenkreuzer. Raumschots punktet sie mit größerer Geschwindigkeit. Bei viel Wind kommt die Pauger 70 ins Gleiten. Auch die verwindungsarme und robuste Bauweise ist bemerkenswert. Der enorme Ballastanteil bietet beachtliche Endstabilität, entsprechend spät muss gerefft werden. Bei viel Krängung bietet die schlanke lange Linie halbwegs symmetrische Wasserlinien. Hinzu kommt die geringe Luvgierigkeit. Leicht nach achtern gepfeilte Salinge verzeihen spät durchgesetzte Backstagen.

Neben Bootsbauer Paulovics setzten sich Peter Gerlóczy und Gábor Lehoczky für die Pauger 70 ein. Angesichts des Ansehens der Klasse und des normalmenschlichen Wochenend- und Regattaehrgeizes wundert es nicht, dass immer wieder ungarische Olympiasegler an Bord gesehen wurden.

Zum Übernachten an Segelwochenenden oder in den Sommerferien empfehlen sich Luftmatratzen, Zelte mit Gase und geeignete Sprays, soweit die örtlichen Mücken die Maßnahmen nicht schon alle kennen. Wie das folgende Foto zeigt, lohnt der morgendliche Blick auf die Boote.

Zeigt her Eure Spiegel: sechs Pauger 70 am Plattensee – Foto Privat
Die Welt der schönen Yachten auf dem Plattensee

Mit diesem Exoten machte sich Dénes Paulovits als Bootsbauer einen Namen. Die Pauger 70 war sein erstes eigenständiges Produkt. Die Stückzahl ist für solch einen Exoten mit kleiner Käuferschaft beachtlch. Heute ist Pauger Carbon Composites Hersteller der Russel Coutts 44, von Imoca 60 Booten wie OceanLabs, Initiative Coeur oder Bureau Vallée 2, weiterer Sonderanfertigungen und Spezialist für Karbonmasten bis 30 m Länge.

Die Eleganz des Bootes erklärt neben den Segeleigenschaften, dass die Pauger 70 einen treuen Fanclub hat. Mittlerweile besteht die Flotte aus neun Booten namens Orpheus, Capella, Krajcár, Gulipán, Pannónia, Anna, Iroquois, Honfoglaló und Bankonzult. Das Video zeigt, was das Boot aus gewissermaßen Nichts macht. Die Welt der schönen Yachten auf dem Plattensee.

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