
Segeln mit Uli
Beim Segeln wird meist vom Boot erzählt. Wie schnell es ist, wie hoch es an den Wind geht, und so weiter. Die übliche Angeberei halt. Dabei geht es eigentlich um eine gute Zeit auf dem Wasser. Das klappt nur mit zuverlässigen, langjährig treuen Segelfreunden.
Seit einer Weile segele ich Gamle Swede mit wechselnden Crews. Einer der Segelfreunde ist von Kindesbeinen an mit Schot und Pinne vertraut. Hans-Ulrich Eichler ist keiner, der ständig einen kernigen Spruch oder lustige Geschichten parat hat, was eine Weile an Bord unterhaltsam ist, auf Dauer nicht. Auch ist Gamle Swede keine Kneipe mit endlos geöffnetem Tresen.

Uli sieht die Wolken am Horizont und weiß, was in einer halben oder viertel Stunde Phase ist, also jetzt zu machen ist. Ich fahre da meist hin, gucke, ob es wirklich so schlimm wird und packe dann ein. Uli segelt Jollenkreuzer. Da werden die Segel vorher statt in der schwarzen Wand gestrichen. Auf Uli hörte ich anfangs zögernd, bald überwiegend. Das machen Segler nie, wenn sie schon eine Weile auf dem Wasser sind und ihnen das Boot gehört.
„Erdmann, wir gehen bitte nicht mit Spinnaker durch den Sund!“
Als wir vor vielen Jahren mal spät im Oktober von Travemünde zum Winterlager nach Fehmarn segelten, ging es angesichts eines drohenden Windwechsels von achterlich kräftig zu schlimm von vorn darum, möglichst bald dort zu sein. So begannen wir mit Spinnaker. Die erste Aufgabe war, bei zunehmendem und seitlich einfallendem Wind an Dahmeshöved vorbeizurutschen. Uli saß mir gegenüber rechts in der Plicht, hatte den Achterholer des Spinnakers in der Hand, um zu fieren, bevor die Fuhre aus dem Ruder läuft. Ich hielt das Boot mit energisch frühen Kurskorrekturen in der Spur. Die anderen Mitsegler lasen die zweistelligen Zahlen auf der Logge vor und machten Witze. Uli schwieg, guckte in mein Gesicht und ließ die Schot über die Winschtrommel rutschen, wenn ich am Rad verkrampfte.
Warum Uli und ich uns verstehen
Kaum hatten wir Dahmeshöved passiert bekam ich Oberwasser und überlegte, wie wir mit den 130 m2 vor dem Mast durch das Fahrwasser zur Fehmarnsund Brücke rutschen. Ich dachte, das wäre ein schöner Abschluss unserer Segelsause. Es waren bloß noch 11 Meilen zur Rinne. Nach einer Weile sagte Uli: „Erdmann, damit dat zwischen uns klar ist: Wir segeln bitte nicht dem Ding durch den Sund!“ Uli ist etwas älter als ich. „Och, lass uns mal gucken, wenn wir da sind“, beschwichtigte ich. Uli schwieg und ich auch. Jeder machte seine Sache. Den Spinnakerbaum umstecken, das Großsegel umklappen und dabei immer tief vor dem Wind durch die Bojen steuern, damit es keinen Schlamassel gibt, das würde bei dem Wind wohl nicht einfach.
Nach einer ganzen Weile setzte Uli in mecklenburgischer Mundart nach „Erdmann, dat wird nüscht“. Passte mir irgendwie nicht und ich brauchte noch eine Viertelstunde, um es einzusehen. Wir haben dann vor der Rinne mit reichlich Platz auf dem Wasser versucht, den Spinnaker zu bergen. Versucht, weil nach dem Ritt die Umlenkrolle des Spinnakerfalls oben im Mast klemmte.
So wurde aus dieser und mancher Kleine Jungs Nummer, die Uli mit seiner Weitsicht in vernünftige Bahnen gebracht hat, eine Freundschaft. Wir segelten Regatten zusammen. Uli brachte Freunde aus Neubrandenburg zu Törns nach Dänemark und Schweden mit. Alles bodenständige und naturverbundene Burschen. Keine anstrengenden Lifestyler. Keine Eppendorfer.
Know-how aus der Panzerbude
Nicht nur mit seiner Voraussicht, auch sonst erkannte Uli, was technisch an Gamle Swede zu tun war. Als langjähriger Mitarbeiter der Panzerbude, wie er das Reparaturwerk Neubrandenburg (RWN) erinnert, ist Uli gelernter Dreher. In diesem volkseigenen Betrieb wurden zu DDR-Zeiten russische Panzer gewartet. Seine Abteilung war für das sogenannte Laufwerk zuständig, gemeint sind die Räder und Ketten. Uli war da so geschätzt, dass er seine eigene Qualitätskontrolle machte.
Als Jugendlicher hatte er sich für einen DDR-Segelkader qualifiziert. Nun war das Leistungssportler-Privileg im Sozialismus an weitere Bedingungen geknüpft, die für ihn nicht infrage kamen. Uli hat eine klare Vorstellung davon, was richtig und falsch ist. Außerdem ist Uli Familienmensch. So ging er stattdessen mit Ehefrau Roswitha und den Söhnen Enrico und Maik auf dem heimatlichen Tollensesee in der Betriebssportgruppe Lokomotive Neubrandenburg segeln.
Das Boot dazu, einen 15er-Jollenkreuzer nach Plänen von Manfred Schreiber, plastizierte er Mitte der Siebzigerjahre gemeinsam mit Sportsfreunden selbst. Plastizieren ist der ostdeutsche Begriff für Laminieren. Auf das Laminieren komme ich später noch zu sprechen. Bei Flaute half ein kleiner Außenborder der Marke Forelle. Ende der Achtzigerjahre ersetzte Uli den 15er durch einen 20er-Jollenkreuzer vom Typ Gora I. Die Schale hatte Günter Gottschald in Rathenow gebaut. Die baute er nach seinem Gusto aus. Als heimatverbundener Tiefwurzler nannte Uli das Schiff in Erinnerung an einen im 8. Jahrhundert am Tollensesee beheimateten Volksstamm Rethra. Ohne Wiedervereinigung würde Uli heute wohl einen 30er-Jollenkreuzer segeln, wir wären uns nicht begegnet und ich sähe mit Gamle Swede irgendwie alt aus.
Ulis Extrawürste für Gamle Swede
Uli isst gern Würstchen und Fleisch, trinkt das eine oder andere Bier. Ich weniger. Er hört morgens beim Frühstück und auch tagsüber gern Dudelfunk. Ich mag das Summen des Windes in der Takelage und die Stille so sehr, dass es bei mir an Bord kein Radio gibt. Uli hat das bei unserem ersten Törn fassungslos kommentiert. Er ist manchmal taktvoll und kann mit mecklenburgisch schroffer Direktheit auch undiplomatisch sein. Ich als gebürtiger Südwestfale auch. Es ist dann gut, wenn der andere zuhört und nachgibt. Deshalb habe ich die Geschichte mit dem Spinnakerkurs nach Fehmarn erzählt. Mir ging es beim Mitsegeln auf anderen Booten auf die Nerven, wenn gute Vorschläge ignoriert wurden und es später unnötig anstrengend wurde.

Es sind die Naturnähe und der Spaß am Segeln, die uns verbindet. In Zeiten, in denen es bei mir wenig Budget fürs Boot gab, hat er in tagelanger Arbeit den Bugbeschlag mit endloser Geduld elektropoliert, bis er aussah, wie aus dem Schaufenster von Cartier. Das sorgte Anfang der 2000er Jahre für gewaltigen Auftrieb. Bei der Gelegenheit wurde der Beschlag mit weiteren Maßnahmen 3 Kilo leichter gemacht. Uli versteht, warum das sein muss.
Spezialmuttern aus Russen-Niro
Er hat für die Montage neuer Winschen Konsolen angefertigt, Reffhaken verlängert, Ruderlagerbuchsen und einen Flaggenstockhalter in einem speziellen Winkel geschweißt und auf Hochglanz gebracht, Toggles und Relingsstützen überarbeitet, Beschläge mit Extrawürsten gerettet. Die zölligen Spezialmuttern zum Schließen des Motorraumdeckels hat er durch neue mit metrischem Gewinde aus sogenanntem Russen-Niro ersetzt. Das ist eine spezielle Legierung, die mehr hält. Damit säuft man nicht ab.
Wir haben im Lauf der Jahrzehnte drei Schotten aus Gamle Swede geschnitten und neue Bretter einlaminiert. Die erste Wand aus optischen Gründen Steuerbord zwischen Bad und Vorderkajüte, die zweite, weil es trotz langer Lecksuche irgendwo von der Vorpiek hineinregnete.
Vor Jahren zeigte er mir, wie man laminiert. Ist gar nicht so schwer, wenn man beim ersten Mal zugucken kann. Auch hat er meine Umstandskrämerei beim handwerklichen Arbeiten ertragen. Deshalb mache ich in seiner Gegenwart fast nie Witze über Motorbootfahrer, obwohl er neulich altershalber und seiner Frau zuliebe unter die „Schlickrutscher“ gegangen ist. Er dieselt seit einer Weile mit einer Nidelv 28 durch die Ostsee, sämtliche Boddengewässer und zur Erleichterung seiner Frau zunehmend durch das Binnenland. Das Boot sieht aus wie aus dem Ei gepellt. Wenn er anfängt, von einem Bornholmtörn im nächsten Sommer zu erzählen, bekommt er von mir eine Ansage wie ich damals bei der Ansteuerung Fehmarns mit der Wundertüte in Schwedenfarben: „Uli, denk an Deine Ehe!“
Als Kümmerer ist er tragende Säule des Segelvereins Neubrandenburg, der aus der Betriebssportgruppe Lokomotive Neubrandenburg hervorging. Das war sein Bezugspunkt und im Sommer das zweite Zuhause seiner Familie. Uli möchte, dass die nächste Seglergeneration Zugang zum wunderschönen See hat.
Die Sache mit der Drehbank

Erwähnte ich schon, dass Uli eine Drehbank daheim hat, auf der die eine oder andere Sonderanfertigung für Gamle Swede entstand? Es ist ein ursprünglich pedalbetriebenes Fabrikat von Mitte der Zwanzigerjahre der Kärger A.G. aus Berlin-Friedrichshain. Die gehörte seinem Vater und Uli musste die Pedalen treten, wenn der alte Herr damit neue Spulen für seine Angelausrüstung für den Tollensesee brauchte. Im Osten gabe es das nicht zu kaufen. Mit Geschick und Zeit war aber fast jede Spezialität machbar. Uli hat die Drehbank wegen der endlosen Treterei damals gehasst. Das Verhältnis besserte sich zum Glück in den Siebzigerjahren, als er einen 900-Watt-Motor einer tschechischen Waschmaschine beschaffte.
Uli ist der Einzige, der meine technischen Zeichnungen meistens versteht. Und er hat seit Jahren dieses Foto vom Spinnakersegeln als Hintergrundbild auf seinem Handy. Ich weiß nicht wozu er da den Spinnakerbaum hochgehalten hat. Ich werde den ehemaligen Sportfreund von der Betriebssportgruppe Lokomotive Neubrandenburg bei nächster Gelegenheit mal fragen.

Foto oben: Hans-Ulrich Eichler im Niedergang von Gamle Swede. 8. Mai 25 aktualisiert. Abonnieren Sie den → kostenlosen Newsletter und Sie verpassen keine neuen Artikel.
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