
Børge Børresen: Ein Leben für den Drachen
Eine Erinnerung an den Drachensegler und Bootsbauer Børge Børresen, in dessen Werft im dänischen Vejle das wunderbare Dreimannkielboot perfektioniert wurde, die beliebte BB10 und die Olympiaklasse Soling entstanden.
Brønsodde am Nordufer des jütländischen Vejle Fjord. Knapp 9 Meter elegant zusammengefügtes Honduras-Mahagoni hängen am Kettenzug eines dämmrigen Schuppens. Die Wintersonne scheint flach durch die Sprossenfenster und lässt die Planken in warmen Brauntönen leuchten. Sämtliche Vernunftgründe für Gelcoat versiegelten Kunststoff wie Beruf, Geld, Familie oder Zeit verflüchtigen sich wie Terpentin durch den Spalt des aufgeschobenen Scheunentors. Ist es dieser Augenblick vorteilhaften Lichts, die Begegnung mit der stillen Kapazität dänischen Holzbootsbaus, das ansehnliche Dreimannkielboot, das vor uns am Heißstropp hängt wie eine Skulptur?
Das ursprüngliche Bedürfnis anzufassen, führt meine Hand zur Bordwand. Die Fingerkuppen streichen über fugenlos zusammengefügte, Klarlack versiegelte Planken und erst aus der Nähe erkennbare Querholzdübel. Sie gleiten durch die halbrunde Vertiefung der Göhl, ertasten die Rundung der Deckskante. Ich bin hin. Der 86-jährige Børge Børresen ist es seit gut sieben Jahrzehnten. 35 Drachen hat er für sich gebaut, bei Regatten vorn gesegelt und danach verkauft. 325 Holzdrachen, die Entwicklung des Kunststoff-Bootes, 600 laminierte Exemplare, 51 in der halben Welt gesegelte Gold-Cups, zu Hause ein Schrank voller Pokale, Silberbecher und Medaillen: BB wie er genannt wird, blickt auf ein erfülltes Seglerleben mit dem Drachen zurück.

BB: Børge Børresen und die Børresens Bådebyggeri
„Ondine“, jene Planken, die vor uns hängen, entstand 1969. Das amerikanische Mahagoni ist im Laufe der Jahrzehnte ein wenig nachgedunkelt. Ansonsten sieht es aus, als sei es neulich erst an Vejles Dragevej aus der Werft geschoben worden. Børresen mag amerikanisches Mahagoni, weil es „anders als afrikanische Ware auch nach Jahren keinen Grauschleier bekommt“. Gelegentlich wurde der Lack mal angeschliffen und aufgefrischt. Børresen sagt wenig. Er gibt mir Gelegenheit, diesen Anblick wirken zu lassen. Er kennt die Magie raffiniert zusammengefügten Holzes, vor allem, wenn die Sonne es an einem eigentlich düsteren Wintertag leuchten lässt.
Wir stehen in jenem Schuppen, wo Børresen 1934 als Lehrling in einer Fischkutterwerft begann. Siebzig Jahre ist das jetzt her. Im Winter 1935/36 hilft der 16-jährige Bootsbaulehrling Børge dann seinem 21-jährigen Bruder Albert nebenher beim Tischlern eines Drachen aus Kiefernholz. Die beiden haben zuvor mit „Bravo“, einem der ersten dänischen Exemplare der damals jungen Klasse die Erfahrung gemacht, dass die Konstruktion etwas luvgierig ist. Sie beheben dieses Manko beim eigenen Boot mit einem etwas, zunächst sechs, später 40 Zentimeter nach vorn gerückten Mast. „Ich glaube, Konstrukteur Johan Anker hat das der Sicherheit halber absichtlich gemacht, damit die Leute das Boot nicht überpowern und voll schlägt“, erklärt Børresen diplomatisch.
Die Børresen Broderne segeln ihren Drachen einmal – nach Svendborg. Denn das Feierabendprojekt ist den jungen Bootsbauern bereits im halb fertigen Zustand aus dem Schuppen weggekauft worden. „Nannita“ läuft gut, weshalb der ortsansässige Kohlenhändler Thorkil Warrer sich gleich ein Boot bestellt, dem sechs weitere Drachen folgen. Ein Vierteljahrhundert wird Børresen für Warrer die Genua um die Wanten zerren und den Spinnaker setzen. 1952 und 56 hilft er in Schottland beim Gewinn des Gold Cups. 1967 und 85 dann ersegelt BB, wie er genannt wird, die begehrte Trophäe hinter dem Reitbalken – wieder in Schottland. Damals stellt der älteste Sohn Ole die Genua die entscheidende Handbreit ein.
1938 schließt Børresen die Lehre in Brønsodde ab. Sein Gesellenstück ist recht dänisch ein vorn halbrunder Fischkutter-Mannschaftsniedergang. „Fairly fancy“ sei die Hutze gewesen, erinnert Børresen. Weil fancy eher bei Regatta- als Arbeitsbooten gefragt ist, verschreibt sich BB der „Luksuskvalitet“ – Booten also, die nach einem Seglerleben aussehen wie „Ondine“. Vejles auf Arbeitsboote spezialisierte Betriebe sind alle verschwunden. Die Børresen Bådebyggeri gibt es trotz wiederholter Krisen noch.
Im darauffolgenden Winter errichten die Brüder gleich hinter Vejles Neptun Sejlklubben einen fünf mal elf Meter großen Schuppen und krempeln die Ärmel hoch. Das Gebäude steht nach wie vor, dient im hintersten Winkel der ochsenblutroten Werfthallen als Lager. 1943 klinkert Børresen das erste dänische Folgeboot, dem 64 folgen. Auch das hübsche norwegische Knarr Boot, eine komfortablere, seegängigere Variante des Drachen, wird in Vejle seit 1955 in 140 Exemplaren getischlert. Nach dem frühen Tod des Bruders führt Børge die Werft zunächst mit der Schwägerin, dann seiner Frau weiter.
Anlässlich der olympischen Regatten von Helsinki 1952 liefert Børresen 40 Finn-Dinghis, darunter ein Exemplar für das Segeltalent Poul Elvstrøm. Wirklich gut seien die Jollen nicht gewesen, weil man im Eifer des Gefechts damals nicht genug auf die Holzfeuchte geachtet hätte, erinnert Børresen den bis heute größten Auftrag der Werftgeschichte. Das Problem der feuchten skandinavischen Winter löst Børresen bald mit einem Autoklaven, einer zehn Meter langen, beheizten Holzkiste zum Vortrocknen des Bootsbaumaterials. Mit geringer Holzfeuchte eingebaut und langsam wieder quellend, ergeben die Planken dann von Haus aus fugenlos dichte und ansehnliche Rümpfe.

Als Kronprinz Konstantin von Griechenland 1960 vor Neapel mit einem Børresen Drachen Gold segelt, gefolgt von Silber- und Bronzemedaillen für weitere Drachen aus Vejle, wird die jütländische Adresse zum international gefragten Haus- und Hoflieferanten, und das Dreimannkielboot zur Nobelklasse. In den guten Sechzigerjahren fertigt der Dreißigmannbetrieb unter anderem dreißig Drachen. „Ein Drachen war ein Mannjahr Arbeit“, erinnert Børresen. Regelmäßig schieben die Bootsbauer ihren einachsigen Wagen unter den geschwungenen Kiel, tarieren die 1,7 Tonnen aus und ziehen ihr Erzeugnis, das Vor- und Achterschiff von Händen abgestützt, aus dem Schuppen. Eine zweckmäßig einfache Methode, ein knapp 9 m langes Boot über Land zu bewegen, die beherrscht sein will.
Prinz Juan Carlos bestellt in Vejle, die Familie des griechischen Reeders Stavros Niarchos ordert gleich drei Boote. Børresen, der vaterlos aufgewachsene Bootsbauer aus bescheidenen Verhältnissen, illustriert beim Mittagessen in Athen mit Silberbesteck als Booten und erlesenem Porzellan als Wendemarken auf der Tischdecke Regattataktik. Trotz hoch- und vermögender Klientel bleibt Børresen auf dem Teppich. Er ersetzt das Zelt durch den bei Regatten allgegenwärtigen Wohnwagen und reist mit Frau Inge und den drei Söhne Ole, Anders und Lars kreuz und quer durch Europa. Die Übernachtung in einem Hotel hielt Børresen für „herausgeworfenes Geld“. Er steckt es lieber in den Schuppen für Schuppen erweiterten Bootsbaubetrieb. Von 1948 bis 1972 wurden Drachenregatten durchweg mit Børresen Booten entschieden.
1962 kauft Børresen mit der Ustrup-Werft in Brønsodde wenige Kilometer fjordauswärts seine einstige Lehrwerkstatt. Die Verlegung des Bootsbaubetriebs ans idyllische Nordufer des Vejle Fjords scheitert jedoch am Widerstand der Nachbarschaft. Børresen macht das Beste daraus, aus dem versandeten Fischkutterslip einen hübschen Hafen, stellt seinen Wohnwagen auf das formidable Ufergrundstück und nutzt das Gebäude als Winterlager. Mit dem Hochzeitsgeschenk eines Knarr Bootes des Kongelig Dansk Yachtklub an Königin Margarethe und Prinz Henrik wird Børresen 1967 dann zum Königlichen Hoflieferanten. Zwei weitere Knarr Boote und ein Drachen folgen, 2001 schließlich bekommt Kronprinz Frederik einen Børresen Drachen.
Leider gedeiht Børresens Bootsbaugeschäft ähnlich wie der arg windabhängige Wasserstand im Vejle Fjord, den Børresen mit köstlicher Lakonie so beschreibt. „Sometimes the water became very high, sometimes low“. Ende der 60er geht der Betrieb das erste Mal in die Knie. Außerdem machen zunehmend voluminöse Neuheiten das Rennen, auf denen man allerhand anstellen kann, nur nicht so schön segeln wie mit einem Drachen. Buntes Gelcoat ist hip, klassisches Honduras Mahagoni erscheint arg von gestern.
Weil mit der Zeit geht, wer überleben will, wiegt BB jedes Bauteil vom Holzdrachen und übernimmt dessen Gewicht 1971 in eine neue Rumpf- und Decksschale aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Ein Schritt, wie er in anderen traditionsreichen Bootsklassen wie 30 m2 Schärenkreuzer, Knarr, Lacustre oder Folkeboot damals auch geschieht. Allerdings war das „riktige knowhow i glasfiber“ beim Prototypen noch nicht perfekt, wie ein während der niederländischen Regattapremiere des Gfk-Drachen unübersehbar aus der seegrünen Decksschale und dem fjordblauem Rumpf wanderndes Vorstagspütting zeigte. Zur Verblüffung der Wettfahrtleitung flickt BB das in der Regattapause kurzerhand ambulant auf dem Wasser und verankert das Rüsteisen seitdem mit einigen Rowings mehr.
Zur Überprüfung der Gewichtsverteilung im fertigen Boot denkt sich BB einen Schwingtest aus. Denn es gibt Spezialisten, welche das verlangte Gewicht zwar generell im Boot unterbringen, allerdings mit vorteilhaftem Schwerpunkt. Mit der Ausmusterung des Drachen 1972 als Olympiaboot beginnt die Renaissance als Regattaschiff ambitionierter Amateure, welche Tradition, Eleganz, nicht zuletzt das gehobene gesellschaftliche Parkett der noblen Kielbootklasse mögen.
BB 10
Mit der ins Vorschiff eingelassenen Spinnakertrompete und unter Deck versteckter Vorsegelrolleinrichtung perfektionieren die Werft und der ortsansässige Metallbauer Frode Andersen das Handling. 1982 übernehmen die Söhne Anders und Ole Børresen die Werft. Mit dem BB 10, einer pfiffigen Eigenkonstruktion der seit 1969 in Betrieb tätigen Söhne und des Vaters lässt die Werft ein sportliches Kajütboot vom Stapel. Es bietet reizvolle Segeleigenschaften, Bückhöhe mittschiffs, eine smarte, offen gehaltene Einrichtung. Der Clou ist der achtern durch den Plichtboden gesteckte Außenborder als Flautenschieber und für Hafenmanöver. Viele der 130 Exemplare segeln in Süddeutschland und der Schweiz.
Mit der BB12 versuchte sich ein isländischer Lizenznehmer vor einigen Jahren im Markt mittelgroßer Cruiser-Racer. Das seglerisch interessante Boot setzte sich jedoch nicht durch.
Seit den 90er Jahren nimmt der englische Konkurrent Petticrow den Dänen mit modernen, ideenreich detaillierten Booten und geschickter Präsenz auf den Regattabahnen das Drachen-Zepter ab. Vier von fünf Neubauten kommen aus England. Im Unterschied zum Petticrowschen Boot sind Børresen Drachen funktionaler. Es gibt weniger Umlenkblöcke und weniger Reibung, was die Leinenführung nicht ganz so smart macht.
Hinreißend sind die formverleimten Børresen Drachen, deren Rahmenspanten gleich beim Verleimen der Furniere eingeklebt werden. Angesichts vorgegebener Festigkeitswerte bietet die formverleimte Bauweise gegenüber Gfk-Booten keine nennenswerten technischen Vorteile. Anfang 2000 setzen die Gebrüder Børresen auf die neue Racing und sogenannte Viking Serie des Drachen. Bei letzterer bietet das schmalere Cockpit optimierte Genuaschotwinkel, einen bequemeren Süllrand, eine winschlose Genuaschotführung und weiterentwickelte Beschlagsanordnung.
Der Verlust des Olympischen Status des Soling traf die Werft schwer, denn auch in dieser Klasse erarbeitete sich der Betrieb mit Kilo genau laminierten, schnellen Booten einen ausgezeichneten Ruf (150 Boote von 1980 bis 2000, zuletzt jährlich 15 Schiffe). Bei den olympischen Wettfahrten von Sydney triumphierten Børresen-Erzeugnisse mit 13 von 16 Solings. Jesper Bank und Jochen Schümann gewannend damit olympisches Edelmetall.
Norwegische Kreationen, perfektioniert und gebaut von Børresen
Es ist kein Zufall, dass Entwürfe von norwegischen Reißbrettern Johan Ankers (Drachen) und von Jan Linge (Soling) die schönsten offenen Kielboote verkörpern. Das wird wohl noch lange so bleiben. Es sind schlanke Boote, die man sich lange ansehen und mit einigem Vergnügen segeln kann. Sie wurden in Dänemark von diesem bescheidenen Segler gebaut, über Jahrzehnte hin perfektioniert und schließlich zum neuen Leben als Kunststoffklasse verwandelt, von seinen Söhnen und Kollegen in weithin geschätzter Qualität gebaut.

Längst stehen in Brønsodde, wo der 2007 verstorbene Børge Børresen vor sieben Jahrzehnten lernte, Reihenhäuser mit Eigentumswohnungen. Es sagt viel über unsere Welt, dass Børresen mit dem Kauf und Verkauf seines lange als Stellplatz für seinen Wohnwagen und sein Mahagoniboot genutzten Wassergrundstücks mehr Geld verdiente, als jenem Handwerk, das er mit „Ondine“ und anderen Drachen zur Meisterschaft brachte. Ich erinnere die Begegnung mit dem stillen, wunderbar bescheiden und mit leiser Lakonie von seinem Arbeits- und Seglerleben erzählenden Mann, als wäre sie gestern gewesen.
Foto oben: Børge Børresen am 1. Mai 1976 beim Einwassern eines neuen Drachen – Foto Allan Simonsen/Vejle Stadsarkiv
31. März 25 veröffentlicht, 9. April 25 aktualisiert
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