40er Schärenkreuzer Aphrodite

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Seit Jahrzehnten segelt die größte zusammenhängende Flotte der 40er Schärenkreuzer in weltweit einmaliger Konzentration auf dem Starnberger See. Ein Probeschlag mit Aphrodite erklärt bei einem Hauch von Wind warum. Es ist eines der neuesten Exemplare vom Münchener Bootsbauer Helmut Fischer.

Der bayrische Liedermacher und Kabarettist Georg Ringsgwandl hat „Fernsehen, Saufen und Golf spielen“ mal als beliebteste Freizeitbeschäftigung der Deutschen genannt. Es wäre schlimm, wenn der Ringsgwandl da recht hat. Denn Fernsehen und Saufen machen in erhöhter Dosierung blöd und dick, besonders bei synchronem Gebrauch.

Seltsamer noch als der rätselhafte Zeitvertreib Golfen ist die Sitzsportart des Dickschiffsegelns. Früher wurde dabei besorgniserregend gesoffen. Für Generationen waren Segeln und Alkohol zwei Seiten der gleichen Medaille. Es gibt das Ablege-, das 11 Uhr-Bier, den hochprozentigen Besanschot-an-Schluck, das Anlegebier oder später die Sherrytime. Abends heißt es dann erst richtig „Prosit“ an Bord. Es gibt auf der Unterhavel sogar eine Yacht namens „Prosit IV“. Na ja, Berliner halt.

Dabei gibt es eine ergiebigere und gesündere Droge, die sogenannte Dünnschifferei. Wie der Name es schon andeutet sind das schwimmende Untersätze, die deutlich länger als breit sind. Im Unterschied zum allgegenwärtigen Dickschiff steht das Dünnschiff bei kaum bis wenig Wind nicht elend herum. Ein Dünnschiff, üblicherweise auch als Schärenkreuzer bekannt, macht so viel Spaß, dass Bier, Wein oder Hochprozentiges an Land bleiben können, weil die Droge Segeln schon langt.

Wenn ein Drittel des Bootes über dem See schwebt

So besuchte ich mal den Münchener Bootsbaumeister Helmut Fischer. Hauptberuflich schreinert er in München-Trudering bayrische Essecken. Sie wissen schon, so Massivholzbänke aus heimischer Kiefer mit Herzen in der Lehne. Nebenberuflich hat der stille Handwerker in viertausend stündiger Feierabendarbeit erst einen Vierziger Schärenkreuzer alleine gebaut und weil es so schön war 2007-9 dann noch einen zweiten namens Freya mit der Segelnummer 56. Diese Replik der Estlander-Konstruktion aus den Zwanzigerjahren ist 14,83 m lang bei 1,77 m Breite. Macht ein Längen-Breitenverhältnis 8,4:1. Wir waren zum Segeln am Starnberger See verabredet, wo Fischers erstes Geschoss namens Aphrodite an einem Bojenplatz lag.

Aphrodite an der Boje vor Possenhofen – Foto Helmut Fischer

Ich war eigens aus dem windreichen Norden zum schönen Possenhofen gekommen. Der Starnberger See machte seinem Ruf alle Ehre. Still wie das Sargassomeer lag er da. Keine Welle trübte den Anblick von Aphrodite, die sich gleich doppelt zeigte. Unterwegs nach Bayern fand ich den Bootsnamen ein wenig übertrieben, um nicht zu sagen kniefällig. Hier auf dem See erschien er passend. Mit ihrer gestreckt über den See ragenden Bug- und Heckpartie schien Fischers Vierziger mehr zu schweben als zu schwimmen.

Wenn bei nichts schon etwas geht

Als der Fischer und ich mit seinem kleinen Ruderboot vom Possenhofener Ufer aus übersetzten, war ich bereits auf der Rückbank hockend hin. Mit den abgefahrenen Proportionen des 48 Zentimeter über den See ragenden Rumpfes, der kleinen Schlupfkajüte unter dem filigranen Peitschenmast erschien die aparte Madame wie aus einer anderen Welt.

Unbeeindruckt von der unübersehbaren Windstille fädelte Fischer das Großsegel in die Spur des honiggelben Sprucemastes, zog es himmelwärts, wickelte das Vorsegel aus und schubste den Bug von der Boje. Die anderen Boote standen wie schlummernde Möwen an den Bojenplätzen abgedeckt herum. Wir standen auch. Immerhin entdeckte ich beim prüfenden Blick ins mattgrüne Wasser ein paar Algen, die schon sacht die Mahagoniplanken vorbeitrieben. Nicht dass der Fischer jetzt schon von „Wind“ oder „Fahrt“ geredet hätte. Der sportliche Bayer ist ohnehin mehr ein Mann der Tat als des Wortes. Erstaunlicherweise ließ sich das Gefährt bereits steuern. Das ließ hoffen. Segler sind ähnlich wie Angler gnadenlose Optimisten. Ich genoss einstweilen die Atmosphäre des Starnberger See, wo sich das Ländliche auf gediegene Weise mit dem exklusiven vorstädtischen Leben Münchens mischt.

Der breite Spiegel ist typisch bei Estlanders 40er Schärenkreuzern – Foto Helmut Fischer

Schicksal 40er Schärenkreuzer

Fischer, der als Jugendlicher vom elterlichen Wohnwagen am See zum Segeln auf dem See geriet, machte in den Neunzigerjahren „den schönen Fehler“, auf einem alten Schärenkreuzer mitzusegeln. „Da hat es mich einfach in die Klasse hineingezogen“ schildert Fischer sein Dünnschiffer-Schicksal. Er vollzog es mit dem eigenhändigen Bau von Aphrodite in den Jahren 2002 bis 5, und zwar von den ersten formgebenden Schablonen über den Kiel und die Takelage bis zu sämtlichen Nirobeschlägen.

Manchen Monat arbeitete der gelernte Schreinermeister und Küchenbauer mehr als 280 Stunden. Es handelt sich um einen Neubau des Gustaf Estlander 40er Schärenkreuzers Hagen mit der Segelnummer 33. In den Zwanzigerjahren wurde die Bootsklasse im Deutschen Reich Rennkreuzer genannt. Damals entstanden in wenigen Jahren sage und schreibe 50 Boote dieses Typs.

Fischers Boot war der erste Stapellauf der Klasse nach 80 Jahren. Im Vergleich zu den traditionell geplankten, über Jahrzehnte beanspruchten, unterschiedlich gepflegten und leider auch verbastelten bis vernachlässigten Antiquitäten mit entsprechendem Instandsetzungsaufwand ist Aphrodite dank Epoxydharz versiegelter Bauweise ein pflegeleichtes Exemplar. Man muss nur regelmäßig den Lack anschleifen und dem maronenbraunen Mahagoni die nächste Lage Bootslack gönnen. Dann sieht es aus wie ein schwimmendes Seemöbel.

Segeln wie in den Zwanzigerjahren

Plötzlich schuppte sich irgendwo backbord vorn das Wasser. Und zwar nicht von einem aus der Seemitte zur Roseninsel kommenden Fischschwarm. Es handelte sich anscheinend um Wind. Fischer sagte nichts. Er gab nicht mal Tipps zum Steuern, was Bootseigner eigentlich nie schaffen. Mit routinierten Griffen stellte er den Spalt zwischen Vor- und Großsegel ein, als wären solche Phänomenalbrisen hier so üblich, wie das Land ringsum katholisch ist. Die Segelsause ging los.

Wie aus der offenen Kajüte zu hören, murmelte das Wasser den Rumpf entlang. Mit sanft weg gedrückter Pinne führte ich die schlanken Planken näher ans Gekräusel heran. Die Fahrt steigerte sich vom belebten, eifrigen bis hastigen vorbei Plätschern in ein köstliches Fitschern und Zischen. Die zunächst noch unentschlossene halbe bis ganze Windstärke wuchs sich zu fetten 1 1⁄2 aus.

Wie in alten Jollenzeiten hockte ich beglückt auf der windwärtigen Bootskante, spielte mit Schotwagen und Großschot und guckte, was das Tropenholztorpedo aus der Feinjustage macht. Entzückt dirigierte ich das glänzend im Lack stehende Mahagonigeschoss durch die Nordostbrise. Ein wunderbarer Gleichklang zwischen Wind und Wasser stellte sich ein, zur deren Voraussetzungen natürlich die Erwartung der Brise ebenso gehörte wie dieses aparte Seespielzeug. Aphrodite zog eine unverschämte Höhe. Der Fischer und ich, wir sagten nichts, genossen einfach dieses Segelfestspiel an Bord der Leichtwindmühle.

Alle Boote, die ich gesegelt habe, ob alt oder neu, klein oder groß, erschienen im Vergleich zu diesem hier als krude Rohsegler. Auch im Vergleich zu meiner geschätzten Swede 55, über die ich eigentlich nichts kommen lasse. Nun spielt bei aber bei einem Hauch von Wind mit 55 m2, die ganze 3 Tonnen antreiben, eine ganze andere Musik, als bei 74 m2 und 8 1⁄2 t. Es ist schlichte Physik, ausgedrückt in der Segeltragezahl von 5,1 statt 4,2. Hinzu kommt die geringe wasserbenetzte Fläche. Die endlosen Überhänge berühren den See erst bei zunehmender Fahrt.

A bisserl was geht immer – jedenfalls mit einem Vierziger – Foto Helmut Fischer

Mit Ausnahme eines IACC America’s Cuppers der 90er Jahre, den ich mal bei ähnlichen Bedingungen übers Ligurische Meer scheuchen durfte. Da ging es ähnlich zur Sache. So zischten wir durch‘s seglerische Elysium nach Leoni herüber: die schöne Aphrodite, der Fischer und ich aus dem zugigen Hamburg. Die Votivkapelle lugte durch das Grün der Nachmittagssonne. Das Glück war perfekt. Diesen am Wind Kurs werde ich nicht vergessen.

S‘san hoit koane Ant’n

Als ich später bei anderer Gelegenheit den Klassenhäuptling Dr. Stefan Frauendorfer im Tutzing besuchte und ihm vom Vierziger-Nirwana erzählte, meinte er lakonisch: Tja, s‘san hoit koane Ant’n“. Sind halt keine Enten. Der Genuss war ihm als Spezialisten und vorübergehenden Hobby-Bereederer zweier klassischer 40er vertraut.

Wenn Sie also in der Nähe dieses landschaftlich herrlichen, vom Wind selten gesegneten Gewässer leben, dann hören Sie auf den Ringsgwandel und mich. Gönnen Sie sich aus dargelegten Gründen um Himmels willen ein Dünn- und Segelschiff mit einem Längen-Breitenverhältnis von 8:1 statt einem der üblichen Stehschiffe.

Sollten Sie noch keins haben und sich für sensiblen Segelgenuss interessieren, dann reden Sie mal mit dem Fischer. Er ist seit 2007 Bootsbaumeister und schreinert so lange bayrische Essecken, bis er noch einmal eine abgefahrene schlanke und leichte Estlander Schäre aus der Werkstatt schieben kann.

1.433 auf 179 cm Breite

Baujahr2002-5
KonstruktionGustaf A. Estlander 1923
originalgetreue Replik der G 33 HagenPapst Werftbau Berlin-Köpenick
gebaut nach der Schärenkreuzer Regel von 1920
Länge14,33 m
Länge Wasserlinie≈ 9,60 m
Überhang Bug2,35 m
Überhang Heck2,35 m
Breite1,79 m
Tiefgang1,60 m
Verdrängung≈ 3 t

→ Bootsbau- und Schreinermeister Helmut Fischer, → Klassenvereinigung der 40er Schärenkreuzer

Platz für den Bootsnamen gibt’s an der Kajüte – Foto Sven Föhring

Foto oben von Helmut Fischer: Seglernirvana mit Aphrodite

31. März 25 veröffentlicht, 16. April 25 aktualisiert

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