Schärenkreuzer: Thema Breite
Wissenswertes zu den Vor- und Nachteilen der schlanken und langen Schärenkreuzer, zur Entwicklung der Klasse und wie die Breite beim Schärenkreuzer seit 1925 gemessen wird. Kompromiss zwischen minimalem Wasserwiderstand bei wenig und Segeltragevermögen bei mehr Wind.
Rasante Entwicklung in 1910er Jahren
Je schlanker das Boot, desto besser läuft es in Leichtwind-Revieren wie den Stockholmer Schären, auf Berliner Seen, in Süddeutschland und der Schweiz. Wie die Fotos zeigen, benötigt der Schärenkreuzer andererseits bei mehr Wind eine gewisse Stabilität, also Breite. Ist er zu schlank, liegt er ab 2 1⁄2 Windstärken arg auf der Seite, verschenkt beim Am-Wind-Kurs Höhe und Geschwindigkeit.
Der Schärenkreuzer entsteht nach einer 1908 vereinbarten Vorschrift, die zunächst allein die Segelfläche für verschiedene Quadratmeterklassen limitiert, ansonsten Spielraum zur Entwicklung des schnellstmöglichen Bootes lässt. Da der Antrieb per Segelfläche limitiert ist, wird der geringstmögliche Widerstand nach behutsamen Anfängen in den 1910er Jahren mit schnittig-schlanken, flachbordigen und leichten Booten gesucht und gefunden.
Zunächst wird das Vorschiff mit V-förmig verlängerter Bugpartie gestreckt. Der hintere Überhang bleibt eine Weile noch kurz und breit. Dann wird der Schärenkreuzer auch achtern länger und filigraner. Die rasante Entwicklung der Längen- und Breitenverhältnisse ist gut bei den 55ern zu sehen. Als einer der ersten typischen Schärenkreuzer, wie wir ihn heute kennen, entsteht 1915 Eva nach Plänen von Erik Salander.
Die in der Tabelle zuletzt genannte Sonja kenne ich von gelegentlichen Begegnungen bei der Schlank & Rank Regatta vor Fehmarn gut. Bis zwei Windstärken fährt der schlanke und etwa 5 t leichte Renner Gamle Swede auf und davon. An 2 1⁄2 Windstärken krängt er arg und das Blatt wendet sich zugunsten der 3 m breiten und steiferen Swede 55.
Entwicklung des Längen-Breitenverhältnisses
Boot | Baujahr | Länge | Breite | Länge : Breite |
Eva | 1915 | 12,60 m | 2,35 m | 5,4 : 1 |
Nerida | 1916 | 13,33 m | 2,30 m | 5,8 : 1 |
Lila | 1919 | 13,65 m | 2,13 m | 6,4 : 1 |
Sonja | 1920 | 15 m | 2 m | 7,5 : 1 |
Die sogenannte Schärenkreuzerregel, wie die 1908 formulierte Klassenvorschrift heißt, wird wiederholt überarbeitet. Dabei wird die Plankenstärke der Rümpfe angehoben. Die Boote werden stabiler und schwerer. Um die Entwicklung zunehmend schlanker Boote zu bremsen, werden die Bauvorschriften 1916 und nochmals 1920 um Mindestbreiten ergänzt. Da sich die Breite mit den damaligen Möglichkeiten am einfachsten im Boot messen lässt, wird sie unter Deck ermittelt. Die tatsächliche Breite ist also das Innenmaß zuzüglich der vorgeschriebenen Plankenstärke.
Vom Koffermaß zur mittleren Breite
Zunächst wird versucht, die Boote mit einem gedachten Rechteck, das in den Hauptspant passen muss, dem sogenannten Koffermaß, breiter zu bekommen. Daraufhin werden Schärenkreuzer mit annähernd eckigen Spantformen entworfen. Der Schärenkreuzer bleibt ein kontrovers diskutiertes Regattaboot. Da das Spiel von Regeländerungen und ausgenutzten Lücken so nicht weitergehen kann, überarbeitet Prof. Karl Ljungberg die Schärenkreuzer Regel so umfassend, dass es 1925 zum Neustart der Klasse kommt.
Die 1925er-Regel vermisst den Hauptspant auf drei Höhen. Einmal an der Deckskante als Maß b0, dann auf einer bestimmten Höhe über der Wasserlinie als b1 und etwas unterhalb der Wasserlinie als b2. Diese drei Breiten ergeben laut 1925er Schärenkreuzer Regel zusammen die sogenannte mittlere Breite. Die größte Breite über Wasser wird mit Faktor 4 berücksichtigt. Die folgende Zeichnung zeigt die Geometrie aller miteinander in Beziehung stehenden Messebenen.
Wer jetzt einen längeren Schärenkreuzer baut, handelt sich bei mehr Länge zugunsten der Rumpfgeschwindigkeit ein breiteres und schwereres Boot ein. Das ist bei Wind günstig, weil es dann steifer ist und das Gewicht eine untergeordnete Rolle spielt. Bei wenig Wind ist im Vergleich zum kürzeren, schlankeren und leichteren Boot mehr Wasserwiderstand zu überwinden. Nun ist anstelle des nächstlängeren und -schlankeren Bootes passend zum Revier ein wohlüberlegter Kompromiss gefragt.
Die folgende Tabelle nennt in der dritten Zeile für alle neun Schärenkreuzer Klassen die mittlere Breite als Mean breath at main section.
Als Harry Wustrau 1920 den ersten deutschen 40er Schärenkreuzer entwirft, hierzulande damals zunächst Rennkreuzer genannt, zeichnet er für die norddeutschen Gewässer mit entsprechendem Seegang aus guten Gründen ein kurzes Boot mit wenig Überhängen vorn und achtern. Wustrau hat seine Überlegungen im Heft der Yacht 5/1922 beschrieben. 1920 bis 24 entstehen im Deutschen Reich 48 sage und schreibe Vierziger, die konsequent gestreckt werden. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung. Sie endet mit einem Längen-Breitenverhältnis von 8 : 1.
Boot/erstes Revier | Segelnr./Baujahr | Länge | Breite | Länge : Breite |
Mia II/Kieler Förde | R1/1920 | 9,93 m | 2 m | 4,9 : 1 |
Saga/Wannsee | R9/1921 | 12,46 m | 1,92 m | 6,4 : 1 |
Rumtreiber/Wannsee | R44/1924 | 14,28 m | 1,88 m | 7,6 : 1 |
Berolina V/Wannsee | R46/1924 | 14,33 m | 1,77 m | 8 : 1 |
Neustart der Schärenkreuzer ab 1925
So kann es nicht weitergehen. Die vierte Version der Schärenkreuzer Regel hat für die Vierziger gravierende Folgen. Als letzte Schärenkreuzer Klasse 1915 durch Zusammenschluss der 38er und 45er vereinbart, entsteht er in wenigen Jahren allein in Schweden über hundertmal. Auch bei deutschen Seglern in Berlin ist er beliebt, wo die Entwicklung wie gezeigt mit einigem Ehrgeiz auf die Spitze getrieben wird. Da sich ab 1925 mit breiteren und schwereren Booten absehbar Nach- statt Vorteile ergeben, endet der maßgeblich Berliner Vierziger Hype abrupt. Heute segeln viele dieser Boote teils in fabelhaftem Zustand in Süddeutschland.
Andere Schärenkreuzerklassen wie die aktiv gesegelten 22er und 30er profitieren seit 1925 von Ljungbergs großem Wurf. Die vierte Version der Schärenkreuzer-Regel ist als 47-seitiges PDF auf Englisch im Internet auf der Website des Svenska Skärgårdskryssare Förbundet (SSKF) zugänglich.
Foto oben von Michael Kurtz: 22er beim Flensburger Robbe & Berking Sterling Cup 2016.
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