Friedrich Judel Renndreißiger Contra
Kastanienbraunes Mahagoni, kupferfarbenes Unterwasserschiff, ein rasant geneigtes Heck. Gestreckter Kiel und Vollschwebe-Ruderblatt. Darüber eine große Takelage. Dieses Männerspielzeug war in den Achtzigerjahren in der ersten Version der Alptraum der Schärenkreuzer Segler am Bodensee.
Contra als moderner Schärenkreuzer
Damals ließ der Überlinger Mediziner Dr. Klaus Müller von Bootskonstrukteur Friedrich Judel einen 30 qm Schärenkreuzer entwerfen und von der Michelsen Werft in Friedrichshafen aus formverleimtem Mahagoni bauen. Das führt bei den Schärenkreuzerseglern am Bodensee zu schlimmem Fracksausen. Denn die Konstruktionen des bärtigen Friedrich Judel und seines Kollegen Rolf Vrolijk haben auf Admiral’s Cup Regattabahnen einen Ruf.
Dreißiger Schärenkreuzer mit mehr Komfort
Zunächst hat das Boot einen klassenkonformen Kiel mit angehängtem Ruderblatt und eine Schärenkreuzer-typische Takelage mit 3⁄4 Vorsegelhöhe. Damals erklärte Friedrich Judel seinen Entwurf so: „Das Boot soll Segler ansprechen, die die klassischen Schärenkreuzerlinien lieben, allerdings mehr Komfort an Bord wünschen. So wurde der Decksstrak um 30 Zentimeter erhöht. Die daraus resultierenden Nachteile (Stabilität, Windwiderstand) wollen wir durch Optimierung von Linienführung und Kielform ausgleichen, sodass dieser Entwurf mit den erheblich niedrigeren konventionellen 30ern leistungsmäßig vergleichbar ist. Damit das Boot bei den Regatten zugelassen ist, wurde der Entwurf dem schwedischen Schärenkreuzerverband zur Klassifizierung vorgelegt. Diese wurde erteilt. Das Boot wird strikt nach den Schärenkreuzervorschriften gebaut. Alle Bauteile sind so bemessen, dass Gewicht und Schwerpunkt mit dem konventionellen Holzbau übereinstimmen.“
Ist Contra ein 30 qm Schärenkreuzer?
Also kein flachbordiger Renner aus den Zwanzigerjahren mit elegant über den See ragenden Überhängen, wie ihn Nostalgiker und Bodenseesegler kennen und lieben. Anstelle des charmanten Löffelbugs ein moderner Steven. Das Achterschiff ist breiter und flacher aus dem Wasser gehoben. Oben also ein modernes Schiff mit dem Appeal eines Cuppers. Nun ist die Frage, ob es sich hier um einen Schärenkreuzer handelt, nicht anhand des Looks zu entscheiden. Die Maße müssen lediglich der Schärenkreuzer Regel von 1925 entsprechen. Beispiele dafür sind auch die schwedischen Entwürfe von Arvid Laurin, Peter Norlin und Håkan Södergren oder von Ian Howlett in England.
Auch der Kiel ist anders. Er ist nicht mit der herkömmlich S-förmigen Spantform Teil des Rumpfes, sondern sitzt wie beim modernen Boot rechtwinklig unter dem U-spantigen Bootskörper. Allerdings gerät Contra bei gleicher Segelfläche etwa eine halbe Tonne schwerer als ein Bodensee-typischer Dreißiger vom Typ Bijou. Das ergibt sich aus der 30 cm angehobenen Bordwand mit der gleichen Bordwandstärke von mindestens 18 mm und den vorgeschriebenen Spantabständen. Das sind schlechte Voraussetzungen für das Leichtwindrevier.
Die Contra-Affäre am Bodensee
Als ehrgeiziger Eigner lässt Müller das Boot von den beiden FD-Spitzenseglern Eckart und Jörg Diesch herrichten. Über das Regattadebüt gibt es zwei unterschiedliche Geschichten. Der einen zufolge soll Contra der Flotte herkömmlich klassischer Schärenkreuzer auf und davon gesegelt sein. Andere Beobachter erinnern, dass Contra keineswegs so deklassierend schnell gewesen sei, wie befürchtet. Man hätte die Vor- oder Nachteile der Judel Konstruktion also im Lauf mehrerer Segelsommer beobachten können.
Diese Gelassenheit hat Heinz Wagner-Wehrborn als Vorsitzender der Internationalen Vereinigung der 30-m²-Schärenkreuzer-Klasse e.V. nicht. Statt einer Belebung und Bereicherung der Klasse durch einen andersartigen Neubau befürchtet er eine Materialschlacht. Diese Angst schürt Müller mit seiner vollmundigen Ankündigung, mit einem pauschal schnelleren Dreißiger zu starten. Um den seit Anfang der Siebzigerjahre weitestgehend als Einheitsklasse am Bodensee üblichen Dreißiger vom Typ Bijou und die Flotte der Klassiker zu schützen, ändert die Klassenvereinigung 1985 die Bauvorschriften und schließt Contra von Regatten aus. Das akzeptiert Müller nicht. Er hat für ein international regelkonformes Boot viel Geld ausgegeben und macht 170.000 Mark Schadenersatz geltend. Der Streit wird mit badischer Sturheit und deutscher Gründlichkeit bis zum bitteren Ende durch sämtliche drei Instanzen ausgefochten.
Bootsdaten Contra als 30er Schärenkreuzer
Länge über Alles | 12,20 m |
Wasserlinie geplant | 8,80 m |
Breite | 2,50 m |
Breite Wasserlinie | 1,76 m |
Tiefgang | 1,50 m |
Verdrängung geplant | 2,7 t |
Verdrängung real | ≈ 3,1 t |
Ballast | 1,3 t |
vermessene Segelfläche (Großsegel + 85 % Vorsegel ∆) | 30 m2 |
Großsegel | 20,4 m2 |
Vorsegel ∆ | 11,2 m2 |
Vorlieklänge Groß P | 11,48 m |
Unterliek Groß E | 3,55 m |
Vorsegelhöhe I | 8,70 m |
Basis Vorsegel ∆ J | 2,60 m |
Rumpf aus 5-fach verleimtem Mahagoni über Spanten und Stringern aus Eiche | |
Deck Sperrholz mit Schaumsandwich und Teakbelag | |
Kielflosse aus V4A mit Bleiballast | |
Konstruktion Nr. 305 von Friedrich Judel, Judel/Vrolijk Design 1983/4 | |
Bau Michelsen Werft Friedrichshafen 1985 |
Friedrich Judel erinnert Anfang 2023: „Wir haben Herr Müller kein pauschal schnelleres Boot zugesagt. Die damaligen Geschwindigkeitssimulationen zeigten die eine oder andere vorteilhafte Situation. Aber es gab auch negative Seiten. Dass Herr Müller eine der vorteilhaften Situationen herauspickte und damit hausieren ging, war im Nachhinein betrachtet ungeschickt.“
Streit bis zum Bundesgerichtshof
Der Rechtsstreit wird durch drei Instanzen in Tübingen, Stuttgart bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe geführt und derart abstrakt, dass allein Juristen noch verstehen, worum es am Ende geht. Am 12.3.1990 entscheidet der BHG die Angelegenheit mit dem sogenannten „Schärenkreuzer-Urteil“ (BGHZ 110,323 ff.). Es wird 1995 Gegenstand einer 401-seitigen Habilitation von Mathias Habersack an der Universität Heidelberg. Das Schärenkreuzer-Urteil ist mittlerweile Prüfungsstoff angehender Juristen zum Thema Vereinsrecht.
Zur Klärung der finanziellen Fragen geht die Angelegenheit von Karlsruhe über das Oberlandesgericht Stuttgart wieder nach Tübingen bis in die erste Instanz zurück. Dort drohen 85.000 Mark Schadensersatz und eine persönliche Inanspruchnahme des damals verantwortlichen Vereinspräsidenten, des Österreichers Wagner-Wehrborn, alternativ die Liquidation der Klassenvereinigung. Bedient von diesem Theater, treten viele Segler aus der Klassenvereinigung aus. Nach zähem Ringen um einen Vergleich zahlt die Klassenvereinigung 35.000 Mark, finanziert von den verbliebenen Mitgliedern. Ausgerechnet Herr Wagner-Wehrborn, der den absurden und ruinösen Rechtsstreit mitzuverantworten hat, ist heute Ehrenpräsident der Internationalen Vereinigung der 30er Schärenkreuzer Klasse.
Die Contra-Affäre ist bis heute folgenreich für die Bootsklasse. Die Frage, ob der Dreißiger Schärenkreuzer nun eine Konstruktions- oder Einheitsklasse ist, beantwortet die Klassenvereinigung leider wie gehabt unklar. Sie bezeichnet sich in ihren Statuten einleitend als Konstruktionsklasse, lässt jedoch nur Neubauten vom Typ Bijou zu. Neuerdings erschwert sie auch die Zulassung von Klassikern mit Hinhalten, Aussitzen und bürokratischen Hürden. Beim Europacup der Dreißiger, er wird alle zwei Jahre abwechselnd in Schweden oder am Bodensee ausgetragen, dürfen ausnahmsweise für einige Tage alle 30er Schärenkreuzer auf dem schwäbischen Meer mitmachen, sonst nicht.
Contra 2.0
Also tunt Müller die Contra mit einem längeren Zweisalingsmast mit Back- und Checkstagen und einem modernen Kiel. Die Blaupause zum Kiel stammt aus einer Schlepptankuntersuchung für ein ambitioniertes Cupper-Projekt von Judel/Vrolijk. Eine verkleinerte Version davon wird mit einer 5-Achs-Fräse für Contra angefertigt. Aus gesundheitlichen Gründen trennt er sich vor einigen Jahren schweren Herzens von seinem Segelspielzeug, das auf den 30er Regattabahnen nur kurz zeigen durfte, was es kann. Der heutige Eigner schwärmt von den sagenhaften Leichtwindeigenschaften und einer sensationellen Höhe am Wind, die mit der steuerbordseitig in der Kajütrückwand untergebrachten Windlupe erreicht wird. So muss das bei echtem Männerspielzeug sein.
Contra als IMS Racer GER 3132
Wasserlinie | ≈ 9,27 m |
Breite Wasserlinie | ≈ 1,92 m |
Tiefgang netto/brutto | 2,04 – 2,10 m |
Verdrängung netto/brutto | 3,2 – 3,9 t |
Ballast | 1,2 t |
Mastlänge über Deck | 14,15 m |
Brückendurchfahrtshöhe | ≈ 15 m |
Großsegel | 38,3 m2 |
Genua | 26,6 m2 |
Spinnaker | 91 m2 |
Vorlieklänge Groß P | 13 m |
Unterliek Groß E | 5 m |
Vorsegelhöhe I | 11,5 m |
Basis Vorsegel ∆ J | 3,50 m |
1. Motor marinisierter Moped Zündapp-Zweitakter | |
Aktueller Motor von 2008: Yamaha F 15 Zweizylinder Viertakt Benziner mit Saildrive 330 in sep. Box hinter dem Ruder (für Bodensee und Schweizer Seen zugelassen), 50 kg | 11kW/15 PS |
Max Höhe im Kajütaufbau | 1,55 m |
vier Kojen: 2 x Vorschiff, 2 x Salon |
Foto oben von Alexander Lutz: Contra vor der Michelsen Werft/Friedrichshafen. Dank an Friedrich Judel für die Erlaubnis zur Veröffentlichung seiner Pläne. Bestellen Sie hier den → Newsletter und Sie verpassen keine neuen Artikel.