Segeln mit Uli

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Beim Segeln wird meist vom Boot erzählt. Wie schnell es ist, wie hoch es an den Wind geht, und so weiter. Dabei geht es eigentlich um eine gute Auszeit mit langjährigen und zuverlässigen Segelfreunden an Bord. Beispielweise mit Uli, mit dem ich seit vielen Jahren unterwegs bin.

Seit einer Weile segele ich Gamle Swede mit mehreren Segelfreunden. Einer von ihnen ist von Kindesbeinen an mit Schot und Pinne vertraut. Hans-Ulrich Eichler ist keiner, der ständig einen kernigen Spruch oder lustige Geschichten parat hat, was eine Weile an Bord unterhaltsam ist, auf Dauer nicht. Auch ist Gamle Swede keine Kneipe mit endlos geöffnetem Tresen.

Vorschiffsmann Uli bei der Vorbereitung zum Spinnakersetzen – Foto Sören Hese

Uli sieht die Wolken am Horizont und weiß, was in einer halben oder viertel Stunde Phase, also jetzt zu machen ist. Ich fahre da meist hin, gucke, ob es wirklich so schlimm wird und packe dann ein. Uli segelt Jollenkreuzer. Da werden die Segel vorher statt in der schwarzen Wand gestrichen. Auf Uli hörte ich anfangs zögernd, bald überwiegend. Das machen Segler selten, wenn sie schon eine Weile auf dem Wasser sind und ihnen das Boot gehört. Es ist jedoch Voraussetzung zu einer beständigen und schönen Segelfreundschaft, die über das seglerische hinausgeht.

„Erdmann, wir gehen bitte nicht mit Spinnaker durch den Sund!“

Als wir vor vielen Jahren mal spät zum Saisonende von Travemünde zum Winterlager nach Fehmarn segelten, ging es angesichts eines drohenden Windwechsels von achterlich kräftig zu schlimm von vorn darum, möglichst bald dort zu sein. So begannen wir mit Spinnaker. Die erste Aufgabe war, bei zunehmendem und seitlich einfallendem Wind an Dahmeshöved vorbeizurutschen. Uli saß mir gegenüber rechts in der Plicht, hatte den Achterholer des Spinnakers in der Hand, um zu fieren, bevor die Fuhre aus dem Ruder läuft. Ich hielt das Boot mit energisch frühen Kurskorrekturen in der Spur. Die anderen Mitsegler lasen die zweistelligen Zahlen auf der Logge vor und machten Witze. Uli schwieg, guckte in mein Gesicht und ließ die Schot über die Winschtrommel rutschen, wenn ich am Rad verkrampfte.

Warum Uli und ich uns verstehen

Kaum hatten wir Dahmeshöved passiert bekam ich Oberwasser und überlegte, wie wir mit den 130 m2 vor dem Mast durch das Fahrwasser zur Fehmarnsund Brücke rutschen. Ich dachte, das wäre ein schöner Abschluss unserer Segelsause. Es waren bloß noch 11 Meilen zur Rinne. Nach einer Weile sagte Uli: „Erdmann, damit dat zwischen uns klar ist: Wir gehen bitte nicht dem Ding durch den Sund!“ Uli ist etwas älter als ich und wie ich bereits erwähnte, ein klein wenig vernünftiger. „Och, lass uns mal gucken, wenn wir da sind“, beschwichtigte ich. Uli schwieg und ich auch. Jeder machte seine Sache. Den Spinnakerbaum umstecken, das Großsegel umklappen und dabei immer schön tief vor dem Wind durch die Bojen steuern, damit es keinen Schlamassel gibt, das würde bei dem Wind wohl nicht einfach.

Nach einer ganzen Weile setzte Uli in mecklenburgischer Mundart nach „Erdmann, dat wird nüscht“. Passte mir irgendwie nicht und ich brauchte noch eine Viertelstunde, um es einzusehen. Wir haben dann vor der Rinne mit reichlich Platz auf dem Wasser versucht, den Spinnaker zu bergen. Versucht, weil nach dem Ritt die Umlenkrolle des Spinnakerfalls oben im Mast klemmte. Im Sund oder vor der Brücke wäre das blöd gewesen.

So wurde aus dieser und mancher Kleine Jungs Nummer, die Uli mit seiner Weitsicht in vernünftige Bahnen gebracht hat, eine Freundschaft. Wir segelten Regatten zusammen. Uli brachte aus Neubrandenburg Freunde zu Törns nach Dänemark und Schweden mit. Alles bodenständige und naturverbundene Burschen. Keine anstrengenden Lifestyler. Keine Eppendorfer.

Regattastart mit Ulis elektropoliertem Bugbeschlag – Foto Nico Krauss

Know-how aus der Panzerbude

Nicht nur mit seiner Voraussicht, auch sonst erkannte Uli, was technisch an Gamle Swede zu tun war. Als langjähriger Mitarbeiter der Panzerbude, wie er das Reparaturwerk Neubrandenburg (RWN) erinnert, ist Uli gelernter Dreher. In diesem volkseigenen Betrieb wurden zu DDR-Zeiten russische Panzer gewartet. Seine Abteilung war für das sogenannte Laufwerk zuständig, gemeint sind die Räder und Ketten. Uli war da so geschätzt, dass er seine eigene Qualitätskontrolle machte.

Als Jugendlicher hatte er sich für einen DDR-Segelkader qualifiziert. Nun war das Leistungssportler-Privileg im Sozialismus an weitere Bedingungen geknüpft, die für ihn nicht infrage kamen. Uli hat eine klare Vorstellung davon, was richtig und falsch ist. Außerdem ist Uli Familienmensch. So ging er stattdessen mit Ehefrau Roswitha und den Söhnen Enrico und Maik auf dem heimatlichen Tollensesee in der Betriebssportgruppe Lokomotive Neubrandenburg segeln.

Das Boot dazu, einen 15er-Jollenkreuzer nach Plänen von Manfred Schreiber, „plastizierte“ er Mitte der Siebzigerjahre gemeinsam mit Sportsfreunden selbst. Plastizieren ist der ostdeutsche Begriff für Laminieren. Auf das Laminieren komme ich später noch zu sprechen. Bei Flaute half ein kleiner Außenborder der Marke Forelle. Ende der Achtzigerjahre ersetzte Uli den 15er durch einen 20er-Jollenkreuzer vom Typ Gora I. Die Schale hatte Günter Gottschald in Rathenow gebaut. Er baute sie nach seinem Gusto aus. Als heimatverbundener Tiefwurzler nannte Uli das Schiff in Erinnerung an einen einst am Tollensesee beheimateten Volksstamm Rethra. Ohne Wiedervereinigung würde Uli heute wohl einen 30er-Jollenkreuzer segeln, wir wären uns nicht begegnet und ich sähe mit Gamle Swede irgendwie alt aus.

Ulis Extrawürste für Gamle Swede

Uli isst gern Würstchen und Fleisch, trinkt das eine oder andere Bier. Ich weniger. Er hört morgens beim Frühstück und auch tagsüber gern Dudelfunk. Ich mag das Summen des Windes in der Takelage und die Stille so sehr, dass es bei mir an Bord erst gar kein Radio gibt. Uli hat das bei unserem ersten Törn fassungslos kommentiert. Er ist manchmal taktvoll und kann mit mecklenburgisch schroffer Direktheit auch undiplomatisch sein. Ich als gebürtiger Südwestfale auch. Es ist dann gut, wenn der andere zuhört und nachgibt. Deshalb habe ich die Geschichte mit dem Spinnakerkurs nach Fehmarn erzählt. Ich verstand beim Mitsegeln auf anderen Booten nicht, wenn gute Vorschläge ignoriert wurden, bloß weil irgendeine seltsame Hackordnung es so verlangt.

Es sind die Naturnähe und der Spaß am Segeln, die uns verbindet. In Zeiten, in denen es bei mir wenig Budget fürs Boot gab, hat er in tagelanger Arbeit den Bugbeschlag mit endloser Geduld elektropoliert, bis er aussah, wie aus dem Schaufenster von Cartier. Bei der Gelegenheit wurde der Beschlag mit weiteren Maßnahmen 3 Kilo leichter gemacht. Uli versteht, warum das sein muss. Als an einem windreichen Tag in der Lübecker Bucht mal das Steuerrad durchdrehte, segelten wir nach dem ersten Schrecken mit eingesetzter Notpinne weiter. Ich nahm das Rad von der Nabe und entfernte die Abdeckung. Uli klopfte die Reste des zerbrochenen Scherstifts heraus, setzte einen neuen ein und wir segelten weiter, als so nichts geschehen. Als das Rad Jahre später bei der windreichen Ansteuerung der westschwedischen Schären wieder labberig wurde, war der Wechsel der Spannhülse schon Routine. Seitdem gucke ich sie alle zwei Jahre an. Ich wusste bis dahin nicht, was das ist.

Ulis Extrawürste für Gamle Swede

Er hat für die Montage neuer Winschen Konsolen angefertigt, Reffhaken verlängert, Ruderlagerbuchsen und einen Flaggenstockhalter in einem speziellen Winkel geschweißt und auf Hochglanz gebracht, Toggles und Relingsstützen überarbeitet, Beschläge mit Extrawürsten gerettet. Damit das Auf- und Abtakeln im Frühjahr und Herbst flott von der Hand geht, wurde die lästige Splintlösung zum Montage der Salinge am Mast mit geschraubten Bolzen und Plastikmuttern ersetzt. Auch die zölligen original Fisksätra Spezialmuttern zum Schließen des Motorraumdeckels hat er durch neue mit metrischem Gewinde ersetzt. Dieses an Wahnsinn grenzende Interesse am Detail geht wohl nur mit Uli.

Wir haben auch großen Sachen gemacht, im Lauf der Jahrzehnte drei Schotten aus Gamle Swede geschnitten und neue Bretter einlaminiert. Die erste Wand aus optischen Gründen Steuerbord zwischen Bad und Vorderkajüte, die zweite, weil es trotz langer Lecksuche vorn tropfte. Zu diesem seltenen schwedischen Kleinstserien-Werftbau gehören speziellen Lösungen, die ich erst nach einer Weile verstand. Dazu muss das Boot vor der Tür sein, das Problem eine Weile angeguckt und mit einem Segelfreund wie Uli behoben werden.

Vor Jahren zeigte Uli mir, wie man laminiert. Ist gar nicht so schwer, wenn man beim ersten Mal zugucken kann. Auch hat er meine Umstandskrämerei beim handwerklichen Arbeiten ertragen. Deshalb mache ich in seiner Gegenwart fast nie Witze über Motorbootfahrer, obwohl er neulich altershalber und seiner Frau zuliebe unter die „Schlickrutscher“ gegangen ist. Seit einer Weile dieseln die beiden mit einer Nidelv 28 durch die Ostsee, sämtliche Boddengewässer und zur Erleichterung seiner Frau zunehmend durch das Binnenland. Wenn er anfängt, von einem Bornholmtörn im nächsten Sommer zu erzählen, bekommt er von mir einen Wink wie ich damals bei der Ansteuerung Fehmarns mit der Wundertüte in Schwedenfarben: „Uli, denk an Deine Ehe!“

Als Kümmerer ist er tragende Säule des Segelvereins Neubrandenburg, der aus der Betriebssportgruppe Lokomotive Neubrandenburg hervorging. Die Wiese am Tollensesee war sein Bezugspunkt und im Sommer das zweite Zuhause seiner Familie. Uli möchte, dass die nächste Seglergeneration Zugang zu diesem wunderschönen See hat.

Die Sache mit der Drehbank

Drehbank aus den Zwanzigerjahren mit einer neuen Ankerleinenrolle für Gamle Swede – Foto Hans-Ulrich Eichler

Erwähnte ich schon, dass Uli eine Drehbank daheim hat, auf der die eine oder andere Sonderanfertigung für Gamle Swede entstand? Es ist ein ursprünglich pedalbetriebenes Fabrikat von Mitte der Zwanzigerjahre der Kärger A.G. aus Berlin-Friedrichshain. Die gehörte seinem Vater und Uli musste die Pedalen treten, wenn der alte Herr damit neue Spulen für seine Angelausrüstung für den Tollensesee brauchte. Im Osten gab es das nicht zu kaufen. Mit Beziehungen, Geschick und Zeit war aber fast jede Spezialität machbar. Uli hat die Drehbank wegen der endlosen Treterei damals gehasst. Das Verhältnis besserte sich zum Glück in den Siebzigerjahren, als er den 900-Watt-Motor einer tschechischen Waschmaschine beschaffte und montiert hat.

Natürlich hätte ich mich mit meinen Sonderwünschen auch an die weithin bekannte Apotheke namens Niro-Petersen in Flensburg wenden können. Ich habe da tatsächlich mal angerufen. Der sagenhafte gönnerhafte Ton der Geschäftsführerin zog mir die Schuhe aus. Außerdem ist Uli der Einzige, der meine technischen Zeichnungen meistens versteht.

Und er hat seit Jahren dieses Foto vom Spinnakersegeln als Hintergrundbild auf seinem Handy. Ich weiß nicht wozu er da den Spinnakerbaum hochgehalten hat. Ich werde den ehemaligen Sportfreund von der Betriebssportgruppe Lokomotive Neubrandenburg bei nächster Gelegenheit mal fragen.

Uli auf dem Vorschiff bei der Schlank & Rank Schärenkreuzer Regatta – Foto Sören Hese

Foto oben: Hans-Ulrich Eichler im Niedergang von Gamle Swede. 18. Mai 25 aktualisiert. Abonnieren Sie den → kostenlosen Newsletter und Sie verpassen keine neuen Artikel.

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