
Vor- und Nachteile Vorsegelrollanlage
Die Vorsegelrollanlage hat zahlreiche Vorteile. Beim Fahrtensegeln werden Genua oder Fock aus der Plicht gesetzt oder geborgen. Mit dieser seit Jahrzehnten üblichen Wickeltechnik wird die Segelfläche bequem angepasst. Das ist für Charterer, Segeleinsteiger, Gelegenheitssegler, kleine Crews oder ältere Ehepaare interessant. Große Yachten mit entsprechenden Segelflächen lassen sich damit überhaupt erst handhaben.

Auch bei Regattabooten sind Rollanlagen üblich. Und bei offenen Kielbooten sind die Rollfock oder Rollgenua selbstverständlich. Sie sind nach dem Setzen des Spinnakers flink eingerollt. Und vor der nächsten Kreuz sind sie flott wieder ausgewickelt. Hochseeregatten wie Sydney–Hobart, The Ocean Race oder die Vendée Globe sind ohne Rollanlagen heute nicht denkbar.
Nachteile der Segelrollanlage beim Reffen
Ist die Frage damit entschieden? Nein, denn die Vorsegel-Rollanlage hat beim Fahrtensegeln mit meist genutzter Reff-Funktion gravierende Nachteile. Das wird Ihnen der Segelmacher auf dem Messestand so wenig erklären wie der Verkäufer einer neuen Yacht.
- Ein teils eingerolltes Vorsegel steht katastrophal. Gerade bei viel Wind, wo es ein flaches Profil braucht, ist die teils eingewickelte Genua bauchig.
- Der Windwiderstand der dicken Wurst des aufgewickelten Segels ist nachteilig.
- Das Tuch wird um den kleinen Durchmesser der Rollstange gewickelt und leidet. Der Zug der Schot, die unregelmäßige Wicklung mit Falten und überdehnten Lieken führen zu enormem Verschleiß. Ein regelmäßig genutztes Rollreffsegel ist nach wenigen Jahren hin. Das ist in meinen Augen das K.-o.-Kriterium.
- Eine Markise kann eingerollt werden, weil sie kein Profil für den Vortrieb hat. Erst mit einem ins Tuch genähten Polster ist es möglich, ein Vorsegel halbwegs passabel aufzuwickeln.
- Bei kleinen bis mittelgroßen Rollanlagen hängt die Sicherheit des Bootes an einer dünnen Bergeleine. Scheuert sie durch oder reißt, kommen Boot und Besatzung in große Schwierigkeiten.
- Bei üblichen Installationen kürzt die an Deck montierte Trommel der Bergeleine das Vorliek.
- Schwergängiger Betrieb durch Salz und Sand.
- Probleme durch Fehlbedienung und vergessene Wartung.
- Gewicht und Kosten.

Beispiele hochwertiger Rollanlagen
Mittlerweile wird der Wickelmechanismus clever versteckt. Es gibt für kleine bis mittelgroße Boote pfiffige Unterdeck-Lösungen mit Kardanwelle im Deck (Fabrikat Bartels) oder ins Deck integriert (Furlex/Seldén). Hier sitzt der Segelfuß an oder nahe am Deck. Für mittelgroße bis große Yachten gibt es solche Lösungen von Reckmann. Der Spezialist baut hochwertige Systeme, wo die Rollstange vom selbsthemmenden Schneckengetriebe zuverlässig arretiert ist. Damit sind einige der erwähnten Probleme gelöst.

Es bleiben der schlechte Segelstand des teils aufgerollten Segels, der Verschleiß, Kosten und Wartungsaufwand. Die Mehrheit der Bootsurlauber nimmt das in Kauf.
Funktion als Wegrollanlage
Moderne Rennyachten wie die IMOCA 60, Comanche oder etwa die Club Swan 125 Skorpios sind mit mehreren hintereinander angeordneten Vorsegeln unterwegs, die entweder komplett aus- oder eingerollt werden. Die Wegrollfunktion erlaubt es, viel am Limit zu segeln und große Tücher zu bergen.
Auch kuttergetakelte Tourenboote sind schon lange mit hintereinander sitzenden Vorstagen unterwegs. Auch hier wird die Wegrollfunktion genutzt. Vor einer Weile verkaufte ich einmal eine Swede 41 an den Golf von Lyon, der für den Mistral gefürchtet ist. Das Boot wurde sicherheitshalber mit einem zusätzlichen Stag zum Setzen einer Sturmfock geliefert, die hinter der aufgerollten Fock oder Genua gesetzt wird.
Anspruchsvolle Fahrtensegler, die den Komfort und Sicherheit der Vorsegel-Rollanlage mögen und dabei auf guten Segelstand Wert legen, nutzen sie als Wegrollanlage. Sie fädeln morgens passend zum absehbaren Wind das geeignete Tuch in die Nut der Rollstange ein. Abends beim Ansteuern des Hafens wird das Segel dann aufgewickelt. Bei längerer Abwesenheit wird das Vorsegel von der Rollanlage (und aus der Sonne) genommen. Als Wochenendsegler machen sie das jeden Sonntag. So verlängern wenige Handgriffe die Lebensdauer des Segels deutlich.
Profilstag statt Rollanlage
All das fast so mühsam wie das Setzen und Bergen des Segels mit einem Profilstag. Ich bin seit 1980 mit solch einem Stag unterwegs. Es dauerte eine Weile, bis ich die Finessen beim Einfädeln des Segels in das Profilstag heraus hatte. Der Abstand des Vorfädlers zum Deck ist entscheidend. Hängt er niedrig, verkantet und klemmt der Kederstreifen am Vorfädler. Hängt er zu hoch, greift der Wind beim Setzen unter das Segel. Auch der Abstand des Vorfädlers zum Stag muss stimmen. Nicht zuletzt müssen die ersten Zentimeter des Keders richtig in den Einfädler gesteckt werden.

Und ja, es macht etwas Mühe, das Segel morgens zu setzen, es abends zu bergen und zu zweit an Deck zusammenzulegen. Die etwa 25 cm dicke Rolle wird in einem vier Meter langen Schlauch mit Reißverschluss verstaut und auf das Kajütdach gelegt. Es gibt bei mir zwei solcher Schläuche. Einen für die 30 m2 Fock und einen für den 20 m2 Yankee. Mit etwas Übung ist es in wenigen Minuten an Deck kniend gemacht.
Profilstag statt Wegrollanlage
Die jahrzehntelange Lebensdauer der Vorsegel aus herkömmlichem Polyestertuch/Dacron und der auf lange Sicht passable Segelstand lohnen die Mühe. Auch müssen Sie keine Rücksicht auf die Rollanlage nehmen. Es gibt keine Fehlbedienung. Lange, rechtwinklig im Achterliek der Fock sitzende Latten, davon die oberste wie beim Großsegel durchgehend, bieten ein gutes, haltbares Profil. Sie stabilisieren das Segel. Das erklärt Ihnen jeder Segelmacher – soweit Sie sich für den Segelstand und Haltbarkeit Ihrer Tücher interessieren. Da ich das Geld nicht aus dem Fenster schmeiße, kommen Foliensegel nicht infrage.
Segelspaß und Sicherheit
Es ist ein Genuss, damit an den Wind zu gehen, den Spalt zwischen Achterliek und Großsegel einzustellen und loszufahren. Dieses von Kompromissen unverdorbene Spiel von Höhe und Geschwindigkeit ist mit Swede 55 wunderbar. Deshalb segle ich Gamle Swede seit Jahrzehnten ohne Vorsegel-Rollanlage. Selbst bei sehr viel Wind habe ich mir all die Jahrzehnte um die frühere Sturmfock nie Gedanken gemacht. Sie zog das Boot durch dick und dünn. Erst vor einigen Jahren habe ich die reichlich gebrauchte 16 m2 Sturmfock Baujahr 1979 durch einen vielseitigeren 20 m2 Yankee ersetzt.

Foto oben von Michael Amme: Gamle Swede bei Schlank & Rank 2009. 17. Februar 23 veröffentlicht, 20. Oktober 25 aktualisiert. Abonnieren Sie den → kostenlosen Newsletter und Sie verpassen keine neuen Artikel.
