40er Schärenkreuzer Aurora

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Dieser 13 Meter Renner hat für die norddeutsche Schärenkreuzerszene eine besondere Bedeutung. Mit Aurora brachte der Fehmaraner Segler Georg Milz vom hundertjährigen Schärenkreuzer Jubiläum 2008 seine Idee zur Segelsause aus Stockholm mit nach Hause. Sie bescherte den Fans klassischer Schärenkreuzer und ihrer Nachfolger die fabelhafte Schlank & Rank Regatta in Lemkenhafen.

Das norddeutsche Schärenkreuzertreffen wird seit 2009 alle zwei Jahre Anfang Juli ausgesegelt und machte den Seglerverein Lemkenhafen auf Fehmarn als „Schärennest“ an der Küste bekannt. Jachtklubs, in denen jedes Wochenende in trauter Runde die Würstchen auf dem Grill brutzeln, gibt es an der Ostsee bekanntlich einige, einen mit diesem Thema und Ruf ansonsten nicht.

Blick in die Schärenecke des Seglervereins Lemkenhafen – Foto Ulla Prötel/SVLF

Wunderbar an diesem Wochenende ist auch, dass es bodenständig und gewissermaßen Prosecco frei ist. Weiße Hosen, Mützen oder dunkelblaue Blazer mit Goldknöpfen gibt es hier nicht. Okay, es gibt eine Begrüßung vom Vorstand und ein paar markige Worte vom Sportwart, das wars aber auch. Es wird einfach mit wunderschönen Booten um die Wette gesegelt. Abends wird dann geschwärmt, geschwelgt und geklönt.

Kollektion schlanker Feilen beim Schärenkreuzer Treffen Schlank & Rank in Lemkenhafen auf Fehmarn
Klassische und moderne Boote beim Seglerfest Schlank & Rank – Foto Seglerverein Lemkenhafen

Aurora – Botschafterin von 1920

Mit ihrem Längen-Breitenverhältnis von 6,4:1 ist Aurora ein geradezu vernünftiges Schiff, soweit sich das von Schärenkreuzern überhaupt sagen lässt. Sie entstand nämlich vor der rasanten Entwicklung zu immer schlankeren und leichteren Schiffen, die bei den Schärenkreuzern maßgeblich im Deutschen Reich in wenigen Jahren auf die Spitze getrieben wurde. Der ehrgeizige Regattasegler und Konstrukteur Gustaf Estlander pushte die Entwicklung der 40er bis Mitte der Zwanzigerjahre auf ein Längen-Breitenverhältnis von ernsthaft 8,4:1.

Daraufhin wurde die Schärenkreuzer Regel 1925 geändert. Der Hype mit sage und schreibe 48 Vierzigerneubauten allein im Deutschen Reich endete hierzulande abrupt. Die neue Bauvorschrift verlangte breitere, schwerere und entsprechend langsamere Boote. So entstand seitdem in Deutschland kein neuer 40er mehr.

Aurora in Kloster/Hiddensee. Dank liebevoller Pflege steht das Boot gut im Lack – Foto Manja Trebing

Wie die Fotos zeigen, ist Aurora mit den vielen Bullaugen und dem gewölbten Kajütdach eine herrlich antiquierte Botschafterin. Wenn dieses Boot irgendwo in einem Hafen erscheint, spult ein Film aus der Zeit ab, als Boote zum genüsslichen Segeln und zum Anschauen gedacht waren. Werftinhaber Knut Holm takelte es zunächst für sich am Ende eines Fjords mitten im ostschwedischen Småland in einer kleinen Ortschaft namens Gamleby auf. Es entstanden damals zwei ähnliche Schiffe namens Fjäril IV (S 13, 13 × 1,95) und Trione (S 64, 12,95 x 2 m), die sich dadurch unterschieden, dass die maximale Breite innerhalb eines Meters Bootslänge an verschiedenen Positionen angeordnet war. So waren die drei Boote eine 1:1 Studie, um herauszufinden, was gut läuft. Ein viertes Exemplar namens Sif, (S 15, 13,28 × 1,85 m), gewann die Goldmedaille bei der Olympiade vor Antwerpen.

Später Start der 40 m2 Klasse seit 1916

Zwar gab es Schärenkreuzer seit 1908 schon in mehreren, anhand der Segelfläche bezeichneten Klassen. Der 40er wurde jedoch erst 1915 als Nachfolger der weniger erfolgreichen 38er und 45 qm Schärenkreuzer vereinbart. Die ersten Neubauten segelten dann 1917. Sie waren zunächst noch mäßig lang, hatten kurze Überhänge am Bug und Heck.

40er Bambi X S 19 (4. Boot von links) mit damals üblicher Steilgaffel – Foto Sjöhistorika museet, Public Domain Mark 1.0 Universal

Und sie waren anfangs noch mit einer sogenannten Steilgaffel unterwegs. Diese Takelage nahm die Vogelschwingen ähnliche Form des Großsegels des bald eingeführten peitschenförmigen Mastes bei den Schärenkreuzern vorweg. 1922 erhielt Bambi X vom zweiten Eigner das moderne Marconirigg mit dem Schärenkreuzer-typisch dünnen, oben gekrümmten Peitschenmast. Damit segelte es im selben Jahr drei erste Plätze im schwedischen Seglermekka Sandhamn. Der gekrümmte Mast machte das Beste aus der limitierten Segelfläche.

Bambi X 1922 bei der Sandhamnregatta mit neuem Peitschenmast © Ausschnitt aus Foto KSSS Jahrbuch 1923 Sjöhistoriska Museet

Typisch für die Schärenkreuzer jener Jahre ist auch die Aufteilung der Segelfläche, bei der fast die ganze Tuch im Großsegel steckt, der Rest in der vorflügelartig kleinen Fock.

Tore Holms Riggzeichnung anlässlich einer Segelbestellung von November 1931 – Sjöhistoriska museet

Im Beitrag zum 75er Schärenkreuzer Gustaf gehe ich näher auf die einst übliche Verteilung der Segelflächen beim Schärenkreuzer ein.

Georg Milz beim Ablegen zur Schlank & Rank Regatta unterwegs zum Außenborder – Foto Seglerverein Lemkenhafen

Auch die gestreckte Kajüte mit vielen Bullaugen über dem flachbordigen Rumpf ist nur noch bei wenigen erhaltenen Schärenkreuzern jener Ära zu sehen. Unter dem halbrunden Dach bietet Aurora volle Bückhöhe von circa 1,40 m. Womit wir bei einem Thema wären, das heute bei jeder Bootsbeschreibung geradezu bis zum Platzen aufgepumpt wird, ähnlich wie die heutigen, als Weltneuheiten ausgelobten fürchterlichen Erzeugnisse selbst. Es gibt einen verspiegelten Kleiderspind, zwei Pritschen mittschiffs, insgesamt vier Schlafplätze, eine Kochstelle, Schapps und so weiter. Bei schönem Wetter bietet Aurora mit geöffnetem Schiebeluk volle Stehhöhe.

Das gerundete Kajütdach bietet bis zu 1,40 m Bückhöhe im Salon – Foto Manja Trebing

Bis 2004 wurde es von neun verschiedenen schwedischen Eignern, teils in Eignergemeinschaften gesegelt. Es hieß Hermond IV, Zaritza, La Traviata, Lay Out, seit 1959 dann Aurora. Der letzte schwedische Eigner Kurre Lundgren setzte sich in Bromma bei Stockholm mit einer aufwendigen Instandsetzung sehr für Aurora ein. Die Restaurierung wurde damals vom schwedischen Schärenkreuzerverband SSKF ausgezeichnet.

Nah am Wasser. Georg Milz und Aurora – Foto Nico Krauss

2004 übernahm dann Georg Milz das Boot und segelte es im windreichen Frühsommer nach Lemkenhafen. Mit Aurora besann Milz sich nach langjährigem Besitz eines modernen Kunststoff Touren-Schärenkreuzers Typ Lotus gewissermaßen auf das Original. Wie die Flotte der Schlanken & Ranken im Seglerverein Lemkenhafen zeigt, sind seitdem einige Segler teils in Eignergemeinschaften seinem Beispiel gefolgt.

Fein austarierte Segelgeometrie der Zwanzigerjahre. Aurora vor einigen Jahren im Fehmarnsund – Foto Familie Milz

Aurora wurde etwa 1 1⁄2 Jahrzehnte erfolgreich von Georg Milz, Lebensgefährtin Suse Bruns und seinem Bruder Hans bei Regatten rings um Fehmarn, der Max Oertz Regatta und der Classic Week gesegelt. Ein Highlight war der erste Platz anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Stockholmer Olympiade auf dem historischen Kurs 2012 vor Nynäshamn.

Seglerglück mit Georg, Hans und Aurora – Foto Familie Milz

Machen Sie den Aurora-Test

Vor einer Weile wurden in der Bootswerft Grödersby 13 Stahlspanten ausgebessert, die Niendorfer Bootsbauer fertigte einen neuen Peitschenmast aus Spruce. Mittlerweile segelt Aurora im Besitz ihres zwölften Eigners auf der Ostsee. Falls Sie es nun erstaunlich finden, dass sich mittlerweile Generationen von Seglern mit wiederholten Anläufen in immer neuen Konstellationen für das Boot lang gemacht haben: Kein Augenmensch und Segler kann sich dem Charme dieses Bootes entziehen. Dazu müssen Sie es sich bloß eine Viertelstunde in Ruhe ansehen. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich Mitte Juli 25 in Lemkenhafen, wenn Aurora gewissermaßen als Ideenstifterin und Trendsetterin wieder im Lemkenhafen erscheint. Schauen Sie also mal vorbei und machen Sie den Aurora-Test.

Foto Manja Trebing

So bezaubert die Antiquität aus dem ostschwedischen Småland mit ihrem flach aus dem Wasser geführten, erst weit vorn am Bug aufwärts gekrümmten Vorsteven. Aurora ist ein Beispiel dafür, was Boote mit Seglern machen und wie eine Bootsbeziehung gelingen kann.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass viele Schweden den Export schwimmender Kulturgüter schon lange mit Argwohn sehen. Aurora zeigt, dass der Verkauf eines Klassikers vielleicht doch richtig ist, sofern er in bewahrende Hände kommt und mit Verstand gesegelt wird.

KonstrukteurKnut Holm (1864–1938)
Werft/BaujahrGamleby Varv, Gamleby Ostschweden/1920
Bauweise≈ 23 mm skandinavische Zeder über ≈ 25 × 25 mm Eichenspanten. Jeder dritte Spant ein L-Profil aus Stahl 25 × 25 × 3 mm
DeckOregon Pine auf Sperrholz
Länge13 m
Länge Wasserlinie10,80 m
Breite1,94 m
Tiefgang1,50 m
Verdrängung3,4 t
Mast (von Uli Schütte erneuert)aufwendig gekrümmt verleimter Peitschenmast aus Spruce
Hans und Georg Milz bei der windreichen Schlank & Rank Regatta 2009 – Foto Archiv SVLF/Milz

Rigg/Segelmaße Aurora ex. Bambi X

Mastlänge14,50 m
Großsegel Vorliek12,20 m
Großsegel Unterliek4,45 m
Vorsegelhöhe≈ 9 m
Vorsegelbasis2,25 m
Rigg- und Segelmaße, soweit Tore Holms Zeichnung von November 1931 zu entnehmen
Großsegel35,20 m2
Fock
Genua
Spinnaker
aktuelle Segelmaße nach Informationen von Manja/Stefan Trebing/Jan Segel

Literatur

  • Per Thelander: Alla våra Skärgårdskryssare, Svenska Skärgårdskryssareförbundet (SSKF), Stockholm 1991, 160 Seiten (Schwedisch), antiquarisch, ISBN 91-970902-1-2. Kapitel/Bootsregister über die 40er, S. 100 ff., S 104
  • Per Thelander, Maria Thorsell: Jakt på kryss. 25 år med Svenska Skärgårdskryssareförbundet, Stockholm 1997, 212 Seiten (Schwedisch), ISSN 0282-4892. Kapitel über die 40er, S. 101 ff., über Aurora S. 105/6
  • The world of Square Metres. The Square Metre Rule – 100 years. Facts, History and Reports from all over the Globe. Svenska Skärgårdskryssareförbundet (SSKF), Stockholm 2008, ISBN 978-91-633-3069-8 (Englisch)
  • Tapani Koskela: I have won, I have lost. The ultimate biography of Tore Holm – Swedens greatest yacht designer. Museiförenigen Sveriges Fritidsbåtar/Veteranbåtsföreningen, 515 Seiten, Stockholm: 2021. ISBN: 978 91 519 0016 2. Ein hervorragendes Buch über die Familie Holm, ihre Werft und Erzeugnisse.

Schlank & Rank 2025 Freitag, 11. Juli 25 Ankunft. Samstag 10 Uhr Steuermannsbesprechung. Start des ersten Laufs gegen 12 Uhr. Start zum zweiten Lauf nach Zieldurchgang des letzten Bootes vom ersten Lauf. Ab 17 Uhr Boote gucken, Klönen, Abendessen, Siegerehrung und Feiern in Lemkenhafen. Die Regattateilnehmer liegen von Freitag bis Sonntag umsonst im SVLF.

Meldung/Ergebnisse zu Schlank & Rank: → Manage to Sail, → Schlank & Rank Website. Dank an Jan Petterson zum Thema Breite bei den Knut Holm Entwürfen; an Manja/Stefan Trebing und Detlef Rüskamp für detaillierte Auskünfte zum Schiff. Foto oben von Manja Trebing. 3. April 25 veröffentlicht, 7. Juni 25 aktualisiert. Abonnieren Sie den → kostenlosen Newsletter und verpassen Sie keine neuen Artikel.

Mehr zum Thema: → Segeln mit einem 40er Schärenkreuzer auf dem Starnberger See, → die Schlank & Rank Regatta, → Segelfotografie bei Schlank & Rank