Zwölferbiegen
Bis zu diesem gern erinnerten Freitag Ende Mai 2019 ist auf Gamle Swede klar: einen Zwölfer sehen wir auf der Regattabahn ein Mal. Beim Start. Dann sind die 22 Meter, angetrieben von 240 Quadratmetern, weg. Da sich kein denkender Mensch mit dumpfer Anmaßung die Packung holt, legen wir mit gebotenem Realismus in Neustadt zur 19. Max Oertz Regatta ab.
Wir, das sind drei Segelfreunde von der Seglervereinigung 03 aus Berlin, ein Kölner und ich. Die Berliner und ich waren ein paarmal zusammen auf dem Wasser. Da wir zusammen noch keine Regatta gesegelt haben, legen wir eher ab, verteilen die Jobs, üben das Spibaum umstecken und packen alles wieder weg.
Wir starten pünklich. Die stattliche Anita beginnt zahm, schiebt sich vorsichtig zwischen den zahlreichen kleineren Booten hinter uns auf die Bahn. Erste Erkenntnis nach bangen Blicken über die Schulter: Anita läuft gut, aber so schlimm schnell wie gefürchtet ist sie nicht. Schon weicht die Demut der Anmaßung: „Mal gucken, ob wir die bis zur Luvtonne halten.“
Es klappt. Mit gescheitem Spinnakerhandling retten wir uns sogar vor ihr über den kompletten Raumschotskurs. Die Mundwinkel sind oben. Dann brettert der weiße Schlitten von hinten ran und rauscht gnadenlos in Lee vorbei. Hingerissen vom Spektakel gucken wir uns das schicksalergeben an. So eine Waffe sieht man selten in Aktion.
Die zweite Wettfahrt verläuft ähnlich. Kesser Start, erster an der Luvtonne. Dann pflügen die 27 Tonnen vorbei. Aber so ganz in Stein gemeißelt ist die Sache nicht. Die Berliner Jungs und der Kölner sind gut. Mit der neuen Fock des Bad Schwartauer Segelmachers Arnd Deutsch sind wir bei guter Höhe am Wind schnell. Das war bereits im Sommer 18 zu sehen und wird jetzt bei der Regattapremiere des neues Segels deutlich.
Nach der großen Spargelsause von Manfred Miera Freitagabend im Neustädter Partyzelt werfe ich auf dem Weg zur Koje einen Blick auf Anita. Es ist Mitternacht. Die Kaltgetränke, schlimmeres Zeug und einige Boxen werden an Deck verteilt – für die eigentliche Party. Etwa zehn junge Leute versammeln sich vor dem Mast.
Vor der eigentlichen Max Oertz Regatta am Samstag – die gestrigen beiden Läufe waren bloß das Warm up – lassen wir das Grußwort des Bürgermeisters aus. Als Segelstreber sind wir wieder früh auf dem Wasser. Anita erscheint etwas später – heute mit einer Fock. Die Genua gestern war zu viel. Das Schifflag arg auf der Seite. 80 qm Fock, das ist mehr als wir insgesamt setzen. Wir absolvieren das erste Drittel des klassischen Dreiecks-Regattakurses 1 – 2 – 3 und die Kreuz zur Luvtonne 1 vor Anita. Zwei Kurse gegen den Wind und wir führen immer noch. Sehr kühl. Keine Ahnung wie, aber diesmal haben wir den Zwölfer gehalten. Diese Amerika-Pokal Bootsklasse, die wie ein Tier an der Wind geht. Der Film zeigt das Ende der zweiten Kreuz. Wir sind stolz wie Bolle.
Dann mache ich nach dem Runden der Luvboje einen entscheidenden Fehler. Auf meine Ansage hin setzen wir den Spinnakerbaum auf der falschen Seite. Dazu klappen wir die 130 qm auch noch zu früh auf. Miguel kriegt das prall gefüllte Tuch kaum ganz hoch. Erst hat Michael die Finger in der Spischotwinsch, dann ich den kleinen Finger der linken Hand beim Versuch ihm zu helfen. Chaos. Anita zieht unbehelligt vorbei, rauscht zur Leetonne, luvt an und fährt weg. Die Mundwind sind unten. Alles vergeigt? Der Zwölfer ist durch, muß uns Verfolger nur noch decken. Der Film zeigt was passiert:
Anita wendet nach der Boje, segelt Richtung Timmendorf und verschenkt ihr Heimspiel . Wir ziehen ungedeckt Richtung Neustadt mit mehr Wind, guten Drehern und entscheiden die maßgebliche Kreuz und letztlich das Rennen für uns. Nach gesegelter Zeit analog auf dem Wasser, verrechnet auch. Zwölfer biegen. Interessant wäre es, das alte Großsegel zu erneuern.
Fotos und Videos von Vincent Volpe. Bestellen Sie hier den → Newsletter und ich mache Sie gelegentlich auf weitere Veröffentlichungen aufmerksam.