
Zu retten: 75er Schärenkreuzer Argo
Achtmal gewann der ehemalige 75er Schärenkreuzer Argo das Blaue Band vom Bodensee. Das erhält der schnellste Teilnehmer der 100-Kilometer-Langstreckenregatta, die von Lindau bis Überlingen und zurück gesegelt wird. Mit einer geeigneten Feile, viel Tuch und einer Fußballmannschaft-großen Crew im Trapez.
Bevor die Ära kühner Bodenseeritte mit dem oben gezeigten 400 qm Vielsterne-Spinnaker erinnert wird, ist der kurze Blick auf ein meist übergangenes Thema unvermeidlich. Zum Segeln braucht es neben Wasser und Wind bekanntlich Geld. Die ersten Themen lösen Einheimische am Bodensee, indem sie die Rund Um Regatta zur richtigen Jahres- und Tageszeit ausfechten, nämlich im Frühsommer und nachts, wo es eine gnädige Abend- und Nachtbrise gibt.
Die Sache mit dem Geld
Das dritte Thema regelte der schwäbische Apotheker Helmut Vetter mit einem ab Mitte der Fünfzigerjahre weltweit verkauften Magenmittel und weiteren einträglichen Produkten. Aus dem Ravensburger Geschäft mit Parfümerie, Reformhaus und Geranien vor dem Fachwerk wurde Vetter Pharma.

Dieses frühe Wirtschaftswunder war der Rahmen für einen gebrauchten 75er Schärenkreuzer, gebaut von der bremischen Abeking & Rasmussen Werft, einem Spezialisten für gediegene Segel- und Motoryachten. Er war 1932 für den Berliner Segler Dr. Walter Schmidt als Schwanenweiß IV. auf dem Wannsee aufgetakelt worden. Auch nach dem Krieg waren 18,60 m Bootslänge am Bodensee viel Holz. In Lindau lagen an eigens verlängerten Liegeplätzen auch die Aloha und der 75er Schärenkreuzer Benny. Damit ließ sich bei Damen- oder Herrenbrise im weißem Hemd und passender Mütze präsentabel Promenadensegeln. Bald lockte Vetter das blaue Band.

Bodensee Rund Um Regattaklassiker Argo
Der Vorteil des klassischen Schärenkreuzers ist bekanntlich, dass er lang und schnell ist. Den Nachteil seiner limitierten Segelfläche behob Vetter, indem er Argo für die üblichen Leichtwindverhältnisse von nichts bis fast nichts auftakelte. Der ursprüngliche Holzmast wich einem stattlichen top getakelten Dreisalingsmast, der große Vorsegel und noch größere Spinnaker zuließ. Der Spinnakerbaum war halb so lang wie das ganze Boot. Entsprechend früh lag die Argo mit ganzen 2,85 m Breite auf der Seite. Dieses Manko behob Vetters umfängliche Crew mit einer 3⁄4 t Lebendgewicht, das an dünnen Drähten im Trapez neben dem Boot hing und zusätzlichen 400 kg an der unten angedickten Kielsohle.
75er Schärenkreuzer Argo für Trapezsegler

Bei viel Wind nutzte die Crew neben den schmalen Planken wenig. Wie das folgende Fotos zeigt, waren bei Wind bis Lindau an Bord bleiben irgendwie wichtiger. Erfreulich bei schlanken Booten ist, dass sie mit ihrer symmetrisch schmalen Wasserlinie auch bei enormer Krängung ohne lästige Luvgierigkeit geradeaus fahren, so lange der Mast oben bleibt.

Da Argo mit dem breitschultrigen Spinnaker bei Wind nicht immer auf Spur zu halten war, erhielt sie ein frei stehendes Ruder. Das machte die Werft Denninger & Maile in Langenargen, vermutlich 1968. Zahlreiche weitere Maßnahmen folgten. Der Kajütaufbau geriet in etwa so hoch wie die Bordwand, hielt bei Erreichen der Endstabilität den Bodensee draußen und bot drinnen mehr Platz. Er wurde wohl auch als Sitzgelegenheit für die umfangreiche Besatzung angehoben und nach vorn hin verlängert. Die Fotos jener Jahre zeigen, dass Argo zu zwölft gesegelt wurde.
Dieses Klassiker-Tuning war damals üblich. Bald überflügelte Vetter den Konstanzer Hans Bauer, der mit seinem 75-qm Nationalen Kreuzer Skagerrak in den Fünfzigern viermal das Blaue Band gewonnen hatte. Ab 1964 schwangen Vetter und die Argonauten das Zepter beim Blauen Band. Begegnungen mit dem zweiten 75er Schärenkreuzer namens Benny waren die Benchmark.

Zwei Jahrzehnte lang erlebten Vetter und die Argonauten auf der schwäbischen See mit nächtlich durchsegelte Gewitterfronten allerhand.
Dann kam Sepp Höss von dieser oberbayerischen Pfütze namens Tegernsee mit seiner gleitfähigen Gustav Gans. Er schlug ein neues Kapitel bei alpennahen Regatten auf. Bald zogen jollenartig leichte Boote, mit dem Mannschaftsgewicht weiter draußen im Trapez, im doppeltem Tempo an den seglerisch ausgereizten Verdrängern vorbei. Kurz, formstabil und gleitfähig, statt ellenlang und schmal, war nun die Devise. Vetter und die Argonauten hielten sich tapfer, machten jedoch öfter lange Gesichter.
Nachdem Argo das Blaue Band 1984 letztmalig gewonnen hatten, wurde es still um das legendäre Boot. 1997 plante Vetter den Um- und Rückbau zur seniorentauglichen Bodensee Antiquität, ein Jahr später ging es in einer oberschwäbischen Scheune los. Als der betagte Eigner im Frühjahr 1999 starb, waren die umlaufende Alufußleiste und das Deck, Bug- und Heckkorb schon ab, Argo entkernt. Vetters Kinder sicherten die Baustelle, um sie zu gegebener Zeit abschließen zu können. In diesem Zustand stand sie 23 Jahre lang eine halbe Autostunde vom Bodensee entfernt.
75er Schärenkreuzer Argo als Jugendboot
Neuerdings zeichnet sich Licht am Horizont für Argo ab. Anfang 23 wurde ein Verein zum Betrieb des Rund Um Klassikers gegründet. Argo soll als Jugendboot des Lindauer Segler-Clubs aufgetakelt werden. Bianca Vetter, die Tochter des Eigners, schenkte die Baustelle dem Argo e.V. Die Schale wurde zur Friedrichshafener Michelsen-Werft gebracht. Die Kosten zur Wiederherstellung des Bootes übernimmt die Familie Vetter und werden mit zusätzlichen Spenden finanziert. Den Betrieb soll der Verein dann selbst stemmen. Die Instandsetzend des Bootes geht bei der Michelsen Werft in Friedrichshafen fortan. Deck und Kajüte sind schon drauf.
Argo soll als „erlebnispädagogisches Projekt“ segeln. Falls Ihnen das auf den ersten Blick ein wenig schwammig erscheint: Es gibt keinen besseren Bootstyp zum Vermitteln des Segelvirus an tatendurstig junge Leute.
Auch wenn nicht mehr mit dem Drive des Ravensburger Apothekers und einer 3⁄4 t im Trapez an der Kante zum Abschmieren gesegelt wird. Ohne Vielsterne-Spinnaker mit Unterliek in der schwäbischen See, als die Argonauten damals der Sonne und ihrem nächsten Blauen Band entgegen segelten.
Bootsdaten
| Werft/A&R Baunummer/Baujahr | Abeking & Rasmussen/2746/1932 |
| Länge über alles | 18,60 m |
| Wasserlinie | 12,95 m |
| Breite | 2,85 m |
| Längen-/Breitenverhältnis | 6,5 : 1 |
| Tiefgang | 2,20 m |
| Werft/Baujahr | Abeking & Rasmussen, 1932 |
| Verdrängung original | 7.559 kg |
| Verdrängung heute | ≈ 9.000 kg |
| Ballast original | 4.380 kg + ≈ 400 kg |
| vermessungsrelevantes Großsegeldreieck | 57,7 m2 |
| 86 % des vermessungsrelevante Vorsegeldreiecks | 17,3 m2 |
| tatsächliche Am Wind Besegelung | ≈ 100 m2 |
| Motor mit Wellenantrieb | Nanni 4110 H mit 36 PS |
Literatur
- Henry Rasmussen: Yachten, Segler und eine Werft. Hans Dulk Verlag, Hamburg 1956, S. 213 ff.
- Svante Domizlaff: Abeking & Rasmussen. Evolution im Yachtbau. Delius Klasing 1996 (mit Baunummernverzeichnis, unter anderem der A&R Schärenkreuzer) ISBN 3-7688-0953-6, S. 138
- Erik von Krause: Kirchturm-Navigation, Artikel über den 75 m2 Schärenkreuzer Argo in Seglerzeitschrift Yacht 1984
Foto oben von Familie Vetter/Archiv des Argo e.V.: Argo Kurs West bei der Bodensee Rund Um. Fotos im Slider ebenfalls von Familie Vetter/Argo e.V., 26. Juli 25 veröffentlicht, 26. September 25 aktualisiert. Abonnieren Sie den → kostenlosen Newsletter und Sie verpassen keine neuen Artikel.
