
Swede 55 Starkwindfock
Es gibt so viele Fragen bei der Ausrüstung eines Bootes, dass das Thema Sturmfock übersehen wird. Entsprechend flüchtig erfolgen Auswahl und Kauf. Auch die 32. Auflage der „Seemannschaft, das Handbuch für den Yachtsport“ von 2019 erwähnt das wichtige Segel gerade mal flüchtig. Das Fachbuch „Schwerwettersegeln“ von Adlard Coles bietet 450 Seiten keine Empfehlungen. Auch das Standardwerk des langjährigen amerikanischen Segelmachers Tom Whidden über „Das Segel“ enthält zur Sturmfock nichts.
Die im Internet empfohlenen Standard-Sturmsegel sind aus erstaunlich leichtem Tuch. Die Sturmfock soll mit einer Art Strumpf über dem aufgewickelten Rollvorsegel hochgezogen werden. Wie soll das gehen, wenn es mit 50 km/h oder deutlich mehr pfeift? Man hat die Sturmfock der guten Ordnung halber in der Backskiste liegen, und verlässt sich beim Fahrtensegeln auf den Motor.
Gerade bei großen Windgeschwindigkeiten und entsprechendem Seegang braucht es ein flaches Profil aus robustem Tuch. Wichtig sind die Segelgeometrie und die Schotführung durch den Korridor von Unter- und Oberwant. Das Segel sollte sich zügig setzen lassen. Mit irgendeiner Proforma-Lösung geht es nicht. Man kann bei viel Wind mit Swede 55 nicht gegen heftigen Seegang dieseln. Das Boot mit dem schlanken Vorschiff taucht vorn tief ein und stampft arg. Da wird allen an Bord sofort schlecht. Außerdem ist Segeln sicherer.
Ein Blick auf die Beaufort-Skala zeigt, worum es geht: vier Windstärken sind 20–28 Kilometer pro Stunde, sechs Windstärken 39–49 km/h, neun Windstärken entsprechen 75–88 km/h. Es geht in dieser Range bereits um die dreifache Windgeschwindigkeit. Von flotter Fahrradfahrt bis zur Reisetempo mit dem Auto auf einer Bundesstraße. Halten Sie dabei mal die Hand aus dem geöffneten Fenster. Erst Windstärken von 9–11, also Windgeschwindigkeiten von 89 bis 117 km/h, gelten als Sturm.
Ermittlung der Vorsegelgröße per LP-Maß
Das Internet bietet folgende Faustformel zur Berechnung der Sturmfockgröße. Sie orientiert sich an der Vorstagslänge. Die Takler- und Segelmacher-Nomenklatur bezeichnet es als Maß „T“. Ganz gleich, um welches Vorsegel es geht, ob Genua oder Sturmfock, die Vorsegelfläche wird stets anhand des sogenannten LP-Maßes ermittelt. Das Kürzel steht für die englische Bezeichnung luff perpendicular und bezeichnet den Abstand vom Schothorn zum Vorliek. Wie der englische Begriff schon sagt, wird es im rechten Winkel vom Vorstag, sprich Vorliek gemessen.
Empfohlene Sturmfockgrößen anhand dieser Formel
| Vorstaglänge T | T2 | Sturmfock Regattaboot 5 % von T2 | Sturmfock Tourenboot 3-3,5 % von T2 |
| 13,70 m | 187,7 | ≈ 9 m² | ≈ 6 – 7 m² |
Diese Größen sind sicher richtig, damit das Boot bei einem Sturm im offenen Meer steuerbar bleibt und nicht zu schnell ist. Damit geht es beim Kreuzen in den Schutz einer Leeküste bei segelbarem Wind aber nicht voran. Das geht nach meiner Beobachtung mit diesem Boot mit einer etwa 16 m² großen Starkwindfock bei passablem Seegang ganz gut. Wenn es in küstennahen Gewässern wie der Ostsee oder dem Mittelmeer darum geht, rasch in glatteres Wasser oder zum nächsten Hafen zu kommen, entscheiden Höhe und Geschwindigkeit, um aus dem Schlamassel heraus zu kommen.
Abwettersegel oder am Wind Performance?
Nun ist Swede 55 ein schlankes, leichtes und daher rankes Boot. Entsprechend früh wird gerefft und die Fock durch das nächstkleinere Segel ersetzt. Von gelegentlichen Nagelproben erinnere ich, dass das Boot mit 16 m² und dreifach gerefftem 18 m² Groß bei etwa acht Windstärken noch gut und zügig aufkreuzt. Als das Meer über das Süll schwappte, ging es mit geborgenem Großsegel allein mit der Sturmfock weiter. Da der Segelschwerpunkt dann ungünstig weit vorn ist, wird die Vorschot passend zum anluven dicht geholt, sonst drückt die Sturmfock den Bug aus dem Wind. Klappt der Bug beim versehentlich zu tief gesegelten Kurs mal weg, wird die Schot gefiert, Anlauf genommen und erneut dicht geholt und angeluvt.
Erfahrungen mit der 15 1/2 statt 18 m2 Starkwindfock
Gemäß Segelplan von 1975 hatte Konstrukteur Knud Reimers eine Sturmfock mit 10,60 m Vorliek, 8,50 m Achterliek, 4,30 m Unterliek und einem LP-Maß von 3,40 m und 18 m2 vorgesehen. Meinem Vater und mir erschien das damals zu groß. So war Gamle Swede abweichend von der Reimersschen Empfehlung Jahrzehnte mit der erwähnten 16 m2 Sturmfock unterwegs. Es wurde an einem Aluminium-Profilstag des amerikanischen Segelmachers Hood vom Typ Gemini (von der Firma Reckmann damals als Typ Zwilling angeboten) gesetzt.
Nachdem dieses Segel aus schwerem 450-Gramm Tuch das Boot tapfer durch Dick und Dünn zog, wurde es an Bord liebevoll Angstlappen genannt. Ich habe es an manchem windreichen Tag mit gewissem Fracksausen vorn im Profilstag eingefädelt und gesetzt. Irgendwann war das Segel bauchig und das reichlich strapazierte Schothorn sah aus wie Wellblech. 3 1/2 Jahrzehnte hat es gute Dienste geleistet. So lange hält ein herkömmliches Dacron-Segel ohne Rollanlage.

Die erste 8,3 % Sturmfock von Gamle Swede
| Vorstaglänge T | T2 | Sturmfock 8,3 % von T2 | Sturmfock laut Knud Reimers 9,6 % von T2 |
| 13,70 m | 187,7 | ≈ 15,6 m² | ≈ 18 m² |

Gemeinsam mit einem herkömmlichen Bindereff für das Groß, ist das Boot mit dem ersten, zweiten oder dem sporadisch genutzten dritten Reff ausgewogen und sicher besegelt. Dieses Bindereff wurde in den Siebzigerjahren mit innen durch den Baum geführter und nach achtern zur Plicht geführter Reffleine zum Schnellreff perfektioniert. Es ist mit den heute üblichen Dyneemaleinen eine ausgezeichnete Sache. Die Beschläge sind gut dokumentiert und die Ersatzteilversorgung (Umlenkrollen und Bolzen) ist durch Seldén gewährleistet.

Damit liegt das Boot nicht zu sehr auf der Seite und kreuzt auch bei deftigen Bedingungen wie viel Wind und üblem Seegang. Interessant an diesem Segel mit hohem Schothorn ist auch die Sicht nach vorn. Dank der Übersicht kann man damit die enge Trave mit all den Fähren und Schiffsverkehr sicher aufkreuzen.

Mit der etwas kleineren als der von Reimers empfohlenen Sturmfock wurde anhand der Erfahrungen mit dem früheren Boot, einem etwas kürzeren Tourenschärenkreuzer Typ Lotus, der recht rank war, 1980 im ostschwedischen Västervik abgelegt.
Segelmaße: Vorliek 10 m, Achterliek 8,33 m, Unterliek 4,14 m, LP-Maß 3,13 m, 15,56 m², 8,3 % von T²
Allerdings lief es bei nachlassendem Wind um fünf Windstärken mit diesem kleinen Vorsegel nicht mehr. Dann war auf die Fock zu wechseln. Wie sich im Lauf der Jahre zeigte, war die damalige Entscheidung für die kleinere, von der Swede 55-Spezifikation abweichende Sturmfock falsch.

Die neue 19 m2 Starkwindfock
Eine verschleißträchtige Rollanlage mit dürftigem Segelstand kam bei Swede 55, wo es um Segelspaß und genüssliche Am-Wind-Kurse geht, nicht infrage. Andererseits ist die Zeit vorbei, als meine Segelfreunde und ich mehrmals täglich auf dem Vorschiff herumkrochen, um ein passendes Vorsegel zu setzen. Kniffelig war die Schotführung zwischen Unter- und Oberwant. Die Lösung war eine auch in dieser Hinsicht genau austarierte Segelfläche und ein robustes Segel aus schwerem 450 Gramm-Polyestertuch.
Als ich vor einer Weile mit dem Lübecker Segelmacher Arnd Deutsch diese neue Sturmfock plante, ging es um ein universelles Starkwindsegel, mit dem sich schon ab drei Windstärken passabel kreuzen lässt.
Wie sich die 10 % Starkwindfock bewährte
So nähte Deutsch vor einer Weile eine Starkwindfock mit bewährt hohem Schothorn. Der neue Angstlappen ist ein interessanter Kompromiß. Damit läuft es bei fast allen segelbaren Windstärken von vorn. Das Segel hat drei Latten. Es liegt abends parallel zu den Latten gerollt in einem wasserdichten und UV-beständigen Schlauch auf dem Kajütdach und wird wohl lange halten.
Zusammen mit dem neuen 44 m2 Großsegel, dessen Fläche sich mit insgesamt drei Reffreihen mit wenigen Handgriffen schnell reduzieren lässt, ist das Boot jetzt mit vorn 3 m2 mehr und sogar leicht überlappendem Tuch vielseitig besegelt. Sturmfock und erstes Reff neu 54 m2 statt 49 m2 früher. Sturmfock und zweites Reff neu 47 m2 statt 42 m2 früher. Damit kommt das Boot ohne heute übliche Rollanlagen aus.
Einzelheiten zur neuen Swede 55 Starkwindfock
- Segelmaße: Vorliek 10,70 m, Achterliek 8,75 m, Unterliek 4,55 m, LP-Maß 3,52 m, Fläche 19 m2
- Größe laut Vorstaglängenformel: 10 %
- Tuch: Dacron mit gelben Vectranfäden in Schussrichtung. Hersteller Dimension-Polyant, Markenname Vectron, Typ VEC 100
- Tuchgewicht: 10,5 Unzen = 450 g/m2 (statt 350 Gramm, wie für Swede 55 empfohlen)
- Schnitt: horizontale Bahnen
- Verarbeitung: drei Segellatten, davon die oberste lang. Große Verstärkungen (Bolten) am Segelkopf, -fuß und Schothorn.
- Schothorn: leinenschonend eingestanzte, dicke Kausch statt des heute üblichen dünnen Nirorings
- Extras: spezieller Vorliekstreifen für Reckmann-Profilstag, Spione
- Schlauch zum Verstauen: Weathermax 80 mit Reißverschluss über die ganze Länge
- Segelmacher: Arnd Deutsch, Teerhofinsel, Bad Schwartau bei Lübeck

Dank heutiger Wetter-Apps wird der Windtrend mehrere Tage vorab halbwegs sicher und morgens vor dem Ablegen zuverlässig vorhergesagt. Da ist Fahrtensegeln auf überschaubaren Strecken kein Ritt ins Ungewisse. So ist dieses Segel ein Kompromiß zum sicheren Ostseesegeln bei üblichen Bedingungen bis etwa 8 Windstärken. Für die Adria bei Bora, den Golf von Lyon bei Mistral oder Kap Hoorn ist er nicht geeignet. Da braucht es dann einen echten Angstlappen in der eingangs genannten Größe. Bernard Moitessier absolvierte seine legendären Törns i. den Sechzigerjahren mit dem 16 t Langkieler „Joshua“ mit einer zweifach auf 6 m² gerefften Fock und einem 5 m² Sturmklüver.
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Foto oben von Swedesail: Gamle Swede beim Trocknen der neuen Starkwindfock im Passathafen von Travemünde. 16. November 25 veröffentlicht, 4. Dezember 25 aktualisiert. Abonnieren Sie den → kostenlosen Newsletter und Sie verpassen keine neuen Artikel.
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